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1. November, 2017 By Heidi Lampret

Ein ganzes Menschenleben in vier Polyethylentüten

….als würde es eine Tote noch groß kümmern, wo ihr zweiter Schuh wäre. Die beiden Krankenschwestern diskutieren weiter, suchen eifrig im Schuhstapelsystem am Eingang zu all diesen todkranken Menschen. Ich stehe da. Zwei dick bepackte Patientensackerl in Händen. Die Tochter der Verstorbenen, die auch meine liebe Freundin ist, ebenfalls. Ihr Gesicht ist ihr runtergefallen. Fällt mir auf. So blass ist sie, dass ich nicht mal mehr den sonst so prallen, von Natur aus erdbeerfarbenen Mund erkennen kann. Weiß in weiß. Wie unsere Sackerln. Sie hat auch einen großen Esslöffel der stärksten Psychopharmaka in Tropfenform verabreicht bekommen. Eigentlich möchte sie grade Räder im Gras schlagen, verrät sie mir. Sie steht neben sich. Ist irgendwie außer sich. Und ihre Gefühle auch. Ich fühle es in mir brennen. Ich bin sehr in mir drin und frage mich, was ich mit diesen Habseligkeiten der eben verstorbenen Leukämie Kranken machen soll. Die Säcke scheinen eine Tonne zu wiegen und doch ist es mein Herz, dass ich vor Schwere kaum die Stufen hinaus ins grelle Sonnenlicht tragen kann. Die Schwere stockt in meinen Beinen. Macht in meinen Kniekehlen eine dramaturgische Pause, sodass sie zu zittern beginnen. Bis sie dann mit voller Wucht und mit gefühlter doppelter Erdanziehung (2g) in meinen Knöcheln aufprallt. Diese leiten die Massen in meine Sohlen, meine Zehen weiter.  Ich fühle mich wie in frischem Beton. Nicht, dass ich dazu schon eine vergleichbare Relation hätte. Ich wurde niemals mafiös-uncharmant an einen Bootssteg oder abgelegenen See begleitet. Aber in diesem Moment denke ich mir, so ausweglos müsse sich das anfühlen. Nasser Beton also, der mich verschlingt. „Sterben ist seltsam“, denke ich mir. Es ist nicht der erste Mensch, dessen Sterben ich erlebe. Wirklich nicht. Aber es ist der erste Mensch, der mir so unglaublich viel bedeutet und den ich langsam und step-by-step 9 Monate lang beim Sterben begleiten durfte. Zerfressen vom körpereigenen, krankhaften Zellwachstum. Ich hätte mein eigenes Leben gegeben, anstatt sie so sehen zu müssen. Das Leiden – ganz ohne religiös versteckte Metaphern – scheint ein Teil des Mensch Seins zu sein. Das begreife ich jetzt bzw. muss ich ja, denn kein Gegenmittel auf der Welt hätte das damals Geschehene aufhalten können. „Wo liegt darin der Sinn?“, frage ich mich weiter. Die Frage bleibt Teil eines inneren, einsamen Monologes. Es folgt keine Stimme, die Antwort darauf gibt. Übrig bleibt die Leere in meinem Kopf, ganz ohne Nulllinie, wie ich sie eben noch auf HIldegunde’s Vitalparameter anzeigendem Monitor beobachtet hatte. Da ist nichts. Wie bei ihr. Wie in ihr.

Foto: pixabay.com

Und plötzlich passiert es wirklich

Ich spule etwa 180 Minuten zurück. Noch nie hatte ich jemanden so meinen Namen rufen gehört. So dringlich, so verzweifelt, so schmerzerfüllt, so hoffnungslos. Noch heute ab und an – und meist um den 13. März, der der Tag des Geschehens war vor 10,5 Jahren – höre ich diesen bitterlichen, verzweifelten Ruf. Ich stürze zur Tür, greife zu den an der Wand befestigten Einweghandschuhen und dem Mundschutz. Eine Schwester pfuscht mir ins Handwerk, die Augenbrauen empathisch in der Stirnmitte sich spitz aufbäumend. Sie schüttelt den Kopf und deutet damit an, dass hygienische Keimfreiheit nun nicht mehr notwendig sei. Sie stoppt meine Hände; kommuniziert wieder nonverbal mit mir; mit sich nun sanft nach links und rechts schwenkendem Kopf. Es gibt keinen Anlass mehr das Zimmer keimfrei und steril zu betreten. Es herrscht keine Ansteckungsgefahr mehr für die Patientin. Ich sehe meine liebe Freundin. Allerdings in einer zerknirschten Körperhaltung wie nie zuvor. Dicke Tränen kullern über ihre Wangen, zwischen ihre Finger durch, die sie schützend als Auffangbecken für ihren Schmerz vor ihr Gesicht hält, damit die Tränen nicht in alle Himmelsrichtungen entweichen oder das Laken ihrer toten Mutter benässten. Ich spüre das Gefühl aus meinen Beinen entweichen. Als würde jemand mit einer Eisenstange rückwärts gegen meine Kniekehlen und meine Lendenwirbelsäule dreschen. Ich sinke auf den maroden Holzschemel links neben ihrem Leichnam, fasse nach Hildegundes Hand. Sie ist so warm. Ihre Haut ist nach monatelangem falem grau in grau durch die vielen Chemoterhapien das erste Mal rosig, ganz zart. Ihre Hände sind genau so warm wie die letzten Tage, als wir sie hielten, ihr Anekdoten vom Bauernhof erzählten, lustige Geschichten vom Hofhund und den hinterfotzigen Katzen, von den vielen Dingen, die sie noch erleben würde – wie wir hofften – und den vielen Menschen, die sie vermissen; von der Kraft, die wir ihr wünschen. Und wie sehr wir sie lieben. Wie ein Mantra strömten die Sätze aus uns. Tag für Tag, Stunde um Stunde. Nächtelang. Raum und Zeit verlieren in dieser Zeit ihre Bedeutung. Die UNI? Ist mir in dieser Zeit herzlich egal. Mein Studium wurde für diese Zeit gecancelt. Was interessierten mich wirtschaftliche Aspekte im Journalismus oder semantische Umberto Eco Ergüsse, gab es nur diese 9-monatige Sterbebegleitung mit weit geöffnetem Herzen zu Ende zu bringen. Auf die Gefahr hin, dass mein eigenes zerbricht. Eine der wichtigsten Missionen meines bisherigen Daseins. Ich möchte die warme Hand gar nicht loslassen, frage die Schwester immer wieder, ob sie nun wirklich tot sei. Ob das wirklich echt sei?

Foto Christine Kostner Photographie

Ich zwicke mir selbst in den Handrücken. Ich bin unsicher; kann nicht eindeutig sagen, ob das alles nicht doch ein Traum wäre. Ich streife mit zwei Fingern über meinen Nasenrücken, was zum damaligen Zeitpunkt eine der wenigen empfindsamen Stellen meines Körpers ist. Zu dieser Zeit war ich noch massiv entkoppelt von meinem Körper; von einem gesunden Körperbewusstsein Meilenweit entfernt. Die Schwester nickt, die zweite mit den zusammengepressten, nach oben getürmten Augenbrauen ebenfalls. „Kann bitte jemand das Geräusch ausmachen,“ schreie ich verzweifelt, um die Audiospur der Nulllinie in meinem Ohr zu beseitigen, damit sich diese nicht noch tiefer wie Messerstiche in meinem Brustkorb übersetzen kann. Sie stellen ab. Wir weinen wie nie zuvor. Unsere Blicke treffen sich. Dann blicken wir wieder abwechselnd, fast rhythmisch auf Hildegunde. Wir schluchzen und greifen unsere Hände über der Toten. Wir bilden einen Totenkreis, ganz unbewusst. „Müssen diese Schläuche in ihr drin bleiben?“, frage ich weiter voller Wut und Schmerz. Diese Giftautobahnen, die die letzten Monate scheinbar eins geworden waren mit ihr, in der Hoffnung sie aufgrund der massiven Vergiftung zum ground zero zerfallen zu lassen. Die Ärzte wollten einen master reset initiieren, einen totalen Wiederaufbau neuer, gesunder Zellen. Zwecklos. Alles. Ihre Haut ist jetzt gelb wie die letzten Tage. Ein multiples Organversagen nahm letzten Endes seinen Lauf. Ein Sterben bei vollem Bewusstsein sozusagen. Die höchsten Dosen Kortison und andere Gifte konnten den Schmerzgrad nicht mehr lindern. Und dennoch ist ein Teint rosé auf ihren Wangen zu erkennen. Zwischen dem Gelb. Wie ein Sonnenuntergang. Und kleine Anzeichen von nach oben gerichteten Mundwinkeln. Ich spüre Frieden. Kann ihn aber damals in diesem Moment nicht annehmen, weil ich so voller Wut, Hass und Schmerz bin. Ich blicke nach oben, an die Decke des Zimmers; danach aus dem Fenster. Die weißlich vergilbten Polyestervorhänge wehen im Wind, der auch einen Hauch Wiener Stadtflair mitbringt. Die Hektik von draußen sagt kurz Hallo zu unserer Wut; unserem Schmerz. Für einen 13. März ist es ein Temperaturmäßig schöner Tag, zwischendurch sogar sonnig. Und doch spüre ich mich in dieser Situation gar nicht mehr, sodass ich lügen müsste, sollte ich Auskunft über die tatsächlichen Wetterbedingungen geben müssen. Und doch hängt der Frieden am stärksten über uns. Auch wenn ich ihn nicht wahrhaben wollte. Niemand sagt etwas. Meine Freundin hat ihr Klapphandy wieder weggepackt, hat sie nun Vater und Geschwister informiert Sie ermuntert stark zu sein. Wir schweigen und weinen nur noch wenig. Weil wir nicht mehr können. Wir sind erschöpft. Die Giftautobahn-Schläuche dürfen nicht entfernt werden. Aus rechtlichen Gründen.

Foto Christine Kostner Photographie

Wie Hades auf dem Boot im Untergrund – wie es die griech. Mythologie wiedergibt – gleiten wir vom Ort des Geschehens in einen gegenüberliegenden Besprechungsraum. Es sind die beiden Krankenschwestern, die uns an den Ellenbogen so stützen, dass wir unsere Beine kaum einsetzen müssen. Daher das Gefühl des Gleitens. Die Protagonisten wechseln. Viel Blabla folgt, es ist ganz dumpf in unsere Ohren. Wir blicken uns immer wieder an und sind in unserer Schmerzlosigkeit und unserer Erschöpfung gefangen. Wieder verlässt jemand den Raum. Aber nicht ohne uns Unmengen an Dokumenten lesen und unterzeichnen zu lassen. Ich finde das lächerlich. Grade hat ein Mensch sein Leben ausgehaucht. Für mich geht die Welt unter. Ich möchte selbst sterben, um den Schmerz nicht ertragen zu müssen. Und du, Mensch vor mir, schiebst mir Papiere unter, um deinen Hintern zu retten? Um die monatelang andauernde Versuchsreihe, die wir alle ungesühnt präsentiert, abgenickt und voller Hoffnung zugelassen haben, rechtlich Konsequenzfrei zu halten? Lauter Egos, die Angst haben vor Folgen, Hetze naher Angehöriger oder einem teilgeschädigten Expertenstatus? Wow, ich bin geschockt ob dieser Bürokratie, die unmittelbar auf das Sterben folgt. „Wir hören wohl auch nach dem Tod nicht auf dem Staat zu gehören“, denke ich, während ich meine Unterschrift in noch nie dagewesenem Unleserlichkeitsgrad dahin fetze. „Ist das überhaupt mein Name? Bin ich das?“, denke ich. Selbst der Stift scheint gummiartig nachzugeben, sodass ich gefühlsmäßig durch das Papier den Tisch und die vielen Schichten Vinyl, Beton, Dämmmaterial und wahrscheinlich ein bisschen Asbest rattere. „Alter, hab ich auch einen Esslöffel von dem Psycho-Zeugs bekommen?“, höre ich mich erschrocken denken; der Herzschlag rapide ansteigend. Einmal reißt sogar das Papier, weil jedwede Motorik oder Feingefühl sich in Luft aufgelöst hat. Irgendwann nimmt die Tortur doch ihr Ende.

Wir stopfen uns samt der riesigen Patienten-Eigentum-Sackerl in die Bim. Irgendwo auf dem Weg höre ich „Chasing Cars“ von Snow Patrol. Ein Song, der mich jahrelang negativ getriggert hat, sodass diese schmerzerfüllte Ohnmacht mich jedes Mal von 0 auf 100 in 1 Sekunde einholte; mich hat weinen und verzweifeln lassen. Heute – 10 Jahre, 233 Tage nach diesem so bedeutsamen Sterben weiß ich, dass Krankheit multifaktoriell ist. Dass es zwecklos ist die Ärzte zu hassen, die vieles ungeprüft erprobt haben, oder den Sündenbock im religiösen Kontext zu suchen der sich aufplustert zu einem großen Weltschmerz und den Sinn an allem vergessen hat. Ich denke ganz oft an das vergilbte Gesicht mit dem rosé Touch und dem sanftem Lächeln. Ich denke an den Frieden und an die Erlösung und Befreiung, die dem Tod schon auch innewohnt. Ehrlich zugegeben. Wozu geboren werden, wozu sterben? Die ewige Sinnfrage bleibt unbeantwortet. Und selbst wenn wir Menschen die Weiten des Himmels und der Erde und der da draußen liegenden Galaxien weiterhin vermessen, diese existentiellen Fragen sollen wohl unbeantwortet bleiben.

Über Sinn und die Sehnsucht nach selbstkonstruiertem Leiden

Für mich liegt der Sinn genau im exakt bewussten Erleben des Lebens, aber auch des Sterbens. Möglichst klar und intensiv. Das ist alles was zu tun bleibt. Diese existentiell alles entscheidenden Augenblicke, vor denen du deine Augen verschließen kannst, oder endlich klar sehen lernen kannst. Dieses Sterben hat mir gezeigt, dass das alles hier viel viel größer ist, als ich es bis dahin anzunehmen wagte. Wer bin ich wirklich? Wer möchte ich sein? Was gibt mir wirklich Sinn? Dieses Sterben hat mich zwar fast erschlagen vor lauter Bewusstheit und Echtheit, aber auch einen für mich existenziell notwendigen Prozess in Gang gesetzt. Retrospektive gesehen radikal in die für mich richtige Bahn gebracht. Diesen wichtigen Menschen zu verlieren hat mir gezeigt, was für mich wirklich wirklich wichtig ist: Meine Gesundheit und die meiner Liebsten. Zeit mit den Menschen zu verbringen, dich ich liebe. Aktivitäten nachgehen, die meinen Brustkorb fast zerspringen lassen vor lauter tanzendem Herzen. So viel es nur irgendwie geht zwischen dem dringenden Bestreben immer besser, schneller, gebildeter, monetär erfolgreicher, schlanker, wohlhabender, ehrgeiziger, besser als mein Gegenüber zu sein. Das alles ist Ego. Das Schöne wird mit dem Negativen mitgeliefert. Es ist da. Es war schon immer da.

Mein Herz sagt zu deinem: Ruf den Bruder an, mit dem du gemeinsam seit einer Ewigkeit und drei Tagen einen Tonnen schweren Emotionsanker voller nichts sagender, negativer Argumente herumschleppst. Geh mit der Freundin Kaffee trinken, von der du dachtest, sie sei der Mensch, der dich im Leben am Meisten hat hängen lassen.. Sag, den Menschen, die dich verletzt haben, was Sache ist. Sag den Menschen, die du liebst, dass du sie liebst. Öffne dein Herz. Denn du weißt nicht was morgen ist, oder ob du morgen noch bist. Nichts passiert ohne Grund. Nicht einmal der Tod. In allem Schweren liegt auch etwas Schönes. Hildegunde hat 4 gesunde Kinder zur Welt gebracht und ein Vermächtnis hinterlassen, dass ich noch heute zu einem meiner größten Schätze zählen darf: Bewerte den Menschen vor dir nicht. Strahle ihn an mit all deiner Liebe, Wärme und Güte. Schließ ihn in den Arm. Frage nicht wer er/ sie gestern war, welche klugen Ausbildungen er/ sie vorzuweisen hat, wie hart er/ sie arbeitet. Niemand muss etwas beweisen, um geliebt zu werden. Es genügt einfach nur zu sein. Diese Lebenslektion ist unfassbar kostbar für mich, sehe ich sie in der Küchentür ihres Bauernhofes mit weit ausgestreckten Armen und einem derart strahlenden Lächeln, wie es mir vorher niemand je ohne Leistung meinerseits als Gegengeschäft zu erwarten, entgegengebracht hat. Ihr Leben war so sinnvoll. Wie könnte ich mir also erlauben, dass ihr Sterben es nicht war. Loslassen. Annehmen meines begrenzten materiellen Seins-Zustandes. Sie schenkte mir Liebe, einfach weil ich ich war und sie sie. Das würde ich nicht nichts nennen.

Foto Christine Kostner Photographie

Heute weiß ich, dass der Tod auch ein Ausweg sein kann. Nicht auf einer bewussten Ebene; nicht im Sinne von Ich-wähle-den-Freitod. Nicht für mich, weil er in meiner Wahrnehmung ohnehin schnell genug kommen wird und ich das Leben mit jeder Faser meines Körpers, mit allen Hochphasen, musikalischen Feuerwerken, beruflichen und privaten Erfolgen, aber auch den ganz düsteren Tagen, an denen die Hoffnung scheinbar gen Süden geflogen ist. Ich bin definitiv Anhängerin der pro-life-Lebensphilosophie. Aber was Hildegunde die letzten Tage ihres Lebens, in denen sie noch fähig zu sprechen und ihre Lungen noch mit wenig Flüssigkeit gefüllt war, schon in einzelnen Silben oder halben Sätzen durchklingen lies war, dass sie „ihr Packerl“ (ihre Lebensaufgaben) einfach immer mitgeschleppt hatte. Sie dachte, dafür geboren zu sein, unglücklich zu sein. Und dieses Unglück ist eben auszuhalten. Aus heutiger Sicht bin ich schon der Meinung, dass Gesundheit viele Ebenen hat. Abgesehen davon, dass ich keine Medizinerin bin und hier keinesfalls medizinisch valide Aussagen in den Raum stellen möchte, nehme ich mir das Recht heraus, aus meiner Erfahrung zu sprechen. Noch nie – ich betone NOCH NIE – war ich krank, ohne dass nicht in meinem Kopf oder meiner Seele ebenfalls etwas aus dem Gleichgewicht war. Keinen einzigen Tag. Stets war auch auf anderen Ebenen etwas aus dem Gleichgewicht. Falls dir das bekannt vorkommt, wird es vielleicht an der Zeit sein – auch für dich lieber Mensch, der das hier grade liest – dich mit dir und „deinem Packerl“ zu beschäftigen. Mach es auf, schau hinein, sei schockiert, sei überwältigt, schreie, weine, kreische. Tu was nötig ist, um diese Überforderung Leben zu lassen. Und dann fang an zu heilen. Ab heute bis in 20, 30, 40, 50 Jahren. Denn dieses Heilen darf gerne den Rest deines und meines Lebens dauern. Das hab ich mir für mich als größtes Lebensziel vorgenommen: Mich ein Stück weit selber kennenlernen, mich entfalten, mich lieben. Alles was noch als extra kommt, verstehe ich als Bonus. Ich liebe und schätze das Leben. Jeden Tag. Es vergeht kein Tag, keine Stunde/ Minute in der ich nicht daran denke, dass das alles hier vergänglich ist. Dieser Gedanke ist kein Fehler mehr in meiner neuronalen Programmierung. Er ist kein lästiges Pop up, dass ein Fehler im Browser darstellt, weil es wieder und wieder erscheint. Er ist ein Geschenk, der sich zuverlässig wie eine Nähmaschine eine Stichlänge exakt an die nächste setzt,  in mein Tagesgeschehen einfügt. Und ich hab mich so lange irgendwie verkehrter gefühlt, als die Menschen um mich herum. Weil ja niemand darüber spricht. Ich spreche darüber. Oft. Immer. Manchmal führe ich darüber stundenlange Monologe und die empfinde ich als sehr heilsam. Manchmal traut sich auch ein Gegenüber darüber mit mir zu sprechen. Das empfinde ich dann energetisch als doppelt heilsam. Das nimmt dem Tod die Ohnmacht, die Größe, die Furcht, das Gefühl ihn um alles in der Welt verdrängen zu müssen. Das Hinschauen gibt mir viel mehr Kraft, als die Augen davor zu verschließen. Diesen Kraftaufwand, das eigene nicht mehr Sein mit aller Anstrengung von mir wegzuschieben, bin ich nicht mehr fähig aufzubringen. Ich hab alles versucht, um die Vergänglichkeit nicht existieren zu lassen: Übermäßig viel Alkohol konsumieren, zu viel Essen, das hundertfünfunddreißigste Kleidungsstück in Konsumhöllen kaufen, um begehrenswerter, lebendiger zu sein; flüchten in definitiv viel zu viel Arbeit u.v.m. Sterben ist etwas Beängstigendes, Abstraktes. Etwas Unvorstellbares. Wo bin ich dann? Was passiert mit diesem ganzen Fleischhaufen? Gut, kognitiv und biologisch ist mir klar, dass der vermodert und entweder im Erdreich durch Millionen Mikroorganismen, Wurmtierchen und anderes gefräßiges Kleintier zersetzt wird. Na dann Mahlzeit! Oder von der Fleischmaterie bleibt nach einer – wie ich finde sehr reinigenden, heiligen – Feuerbestattung ein wenig Asche übrig. Staub also, nach so viel Schall und Rauch. Nach meinem ganzen Leben, dem ich so viel Ego Aufmerksamkeit schenke, mich über mein tiefrotes Bankkonto mit den niedrigen Zahlen ärgere oder vor wenigen Jahren noch über die drastisch rotierende Nadel auf der Personenwaage. Whatever – das Leben ist trotzdem schön. Dabei bleib‘ ich. Im Schmerz liegen Geschenke, im Tod liegt Hoffnung. Ich freu‘ mich des Lebens und wünsche dir, dass du grade heute am Tag der nicht mehr lebendigen Toten und Heiligen ganz besonders dankbar bist für dein pochendes, mutiges Herz!

Was denkst du? Ich wünsche mir für dich, dass ich dieses Sterben hier so bildhaft darstelle, reißt dich nicht in ein tiefes schwarzes Loch aus Traurigkeit und Weltschmerz. Viel mehr freue ich mich, wenn du deine Erfahrung mit mir und der community teilst.

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26. Oktober, 2017 By Heidi Lampret

Planeten, Kollisionen, Schmerz und Wiederaufbau

Foto Planetarium Klagenfurt

Ich war unlängst im Planetarium Klagenfurt zu Gast. Ganz unverhofft nahm ich an der Vormittagsvorstellung teil. Tja, das ist einer der Vorteile in der Selbstständigkeit. So kurzfristige „Ausreißer-Aktionen“ sind da gut möglich. Die Vorführung war für eine slowenische Reisegruppe gedacht. Mittels Audio-Guide konnte ich diese (für mich leider offene) Sprachbarriere überwinden. Phantastisch, das Licht ging aus und ca. 135 Mobiltelefone blitzten in Richtung Kuppel. Dieser 24h-non-stop-online-Wahn ist ganz schön enorm! Es wurde eifrig geshared und geliked auf vielen social media Kanälen. Ich lies mich hingegen voll und ganz auf den Streifzug durch die Entstehungsgeschichte der Welt ein. Mit mir auf Reisen: Meine liebe Blogger-Freundin Cat-Active-Life. Für 60 Minuten ganz schön viel Input. Die Kinnlade habe ich heute noch nicht ganz geschlossen. Krass ist das! So viel Energie und Materie, die sich zur selben Zeit in Bewegung setzt. Viel Quanten- und Zellteilung, viel Zusammenbruch und Kollision, ziemlich viel Wirr Warr und physikalische Kräfte. Und siehe da: Da ist sie, die Welt und mit ihr der Mensch, der dieses einzigartige, nicht zu hinterfragende Wunder stetig prüft, zu kontrollieren versucht (und manchmal glaubt das tatsächlich geschafft zu haben. Wie töricht.). Die Welt mit ihren verrückten Menschen, die sich nicht zufrieden geben möchten mit den vagen Antworten nach dem Sinn des Lebens. Ich glaube mittlerweile, dass es nichts zu hinterfragen gibt. Ist es nicht möglich, dass das Leben, die Existenz unseres Sonnensystems und aller übrigen Milliarden Sonnensysteme einfach IST. End of the story? Nicht mehr, nicht weniger. Diese vielen Teilchen, die quantenphysikalisch einfach ganz schnell schwingen, werden das eines Tage nicht mehr tun. Und irgendwann dann doch wieder. Auch du schwingst grad jetzt in diesem Moment. Du bist molekular gesehen ein Sammelsurium aus Teilchen. Manchmal hochfrequentig schwingend, manchmal weniger. Das Leben ist jetzt. Dieser Gedanke gefällt mir und hält mich davon ab, auszufragen aufgrund meines mangelnden Intellekts und meiner Angst vor diesem großen, schwarzen Nichts.

Foto Theresa Pewal Artist Portraits

Interessant fand ich auch, die Entstehung des Mondes, seiner Umlaufbahn inkl. seiner jetzigen Position zur Erde. Die Entstehung des Mondes wird seit Jahrhunderten diskutiert. Seit Mitte der 80er-Jahre geht man davon aus, dass der Mond nach einem seitlichen Zusammenstoß der Proto-Erde (also ein Prototyp unserer heutigen Erde) mit einem etwa marsgroßen Körper, damals Theia (= auch wieder ein Prototyp eines Planeten. Lustig schreibt und liest sich das) genannt, entstanden ist. Theia wurde der Theorie nach völlig zerstört. Die übrig gebliebenen Bruchstücke sammelten sich in der Erdumlaufbahn. Genau genommen ist nach dieser Kollisionstheorie ein großer Teil der abgeschlagenen Materie beider Körper in eine Umlaufbahn um die Erde gelangt und hat sich dort zum Mond geballt. Dieser neue Planet zog eifrig Materie an, wurde größer und größer. Das Resultat ist der Mond. Die Spuren der Kollision – dieses gewaltigen Kräftewirkens – sehen wir heute noch als Mondflecken (schwarze Mondkrater). Physikalische Kräfte ohne Ende. Es kommt was zusammen, es fällt was weg. Der Urplanet stößt gegen die erste Version der Erde und beschädigt diese massiv, sodass sich die Grundstruktur des blauen Planeten, wie wir ihn heute kennen, langsam entwickeln kann. Die Wasser- und die Erdmasse sortierte sich neu. Unfassbar! Schon als Kind hab ich mich oft gefragt, wo eigentlich das viele Schwarz drin hängt. Aber an dieser Stelle wird dann immer alles abstrakt und skurril. Wie sterben, tot sein, die Farbe des Himmels, den mit Flüssigkeit gefüllten Brustkorb eines Säuglings, der eben geboren plötzlich ganz automatisch nach Sauerstoff verlangt oder wie sich gelbe, steinharte Maiskörner zu weißem, knackigem, herrlichem Popcorn transformieren können. Alles too much für mein kleines Köpfchen.

Tja, jedenfalls weiß ich jetzt, dass dieser Urplanet heute der Mond ist. Ein Planet, der uns täglich grüßt und vom Himmel romantische Nächte bereitet. Manchmal auch stürmische. Manchmal laute. Manchmal ganz heimelig-leise. Viele Lieder wurden über die Nacht verfasst und diesen magischen Mond. Viele Naturgesetze werden durch den Mond beeinflusst, der Mensch – um nicht zu sagen – von ihm gelenkt (vgl. Schlafwandeln, Mondkalender orientiertes Heimwerkern und Haare schneiden, regelmäßig-kollektive Monatsblutung. Erst mit der Erfindung künstlichen Lichts wurde dieser Rhythmus individualisiert etc.). Bekannte Songs dazu wären: Moonriver, Der Mond ist aufgegangen, Man on the Moon (REM), Moondance (Van Morisson), Lady Sunshine & Mr. Moon (ein echter Klassiker von Conny Froboess und Peter Weck 🙂 )u.v.m. Hach, alles schöne Lieder. Und doch ist da so viel organisierter Rumor und Wandel. Da herrschen so viele unerklärlich starke, menschlich unbeeinflussbare Kräfte. Sehr beeindruckend finde ich das. Die Kinnlade sackt weiter nach unten. Mein Respekt wächst hier weiter Zeile für Zeile. Ein Satz, der sich im Planetarium besonders manifestiert hat, während die Nackenstarre massiver und meine Ehrfurcht drastischer anwuchsen ist folgender: „Nach jeder Katastrophe erblüht das Leben neu.“ Es braucht dieses Auf und Ab. Aufbau – Wachstum – Zerstörung – Verfall. Wir sind hier um zu wachsen, zu reifen, zu lernen, uns weiter zu entwickeln. Und um eines Tages wieder zu unserem Ursprungszustand (?) reiner Energie zurückzukehren. Vielleicht jedenfalls.

Foto Christine Kostner Photographie

Zeit ist eine psychologische Erfindung, materieller Reichtum ebenso. Ego-Gesülze über Schönheit, ewige Jugend, Erfolg, monetäre Meilensteine, BWL-Gelaber über 10-Jahrespläne. Kannste knicken! Also nicht knicken im Sinne von „Bildung wäre nicht wichtig.“ Das muss ich ganz dringend klarstellen! Was ich meine ist: Das Leben passiert so oder so. Auch wenn ich noch so sehr versuche alles im Griff haben zu wollen. Die dunkle Materie da draußen bewegt sich genau wie in mir. Auch wenn ich das Dunkle nicht wahrhaben möchte. Es flutet meinen emotionalen Bewusstseinsradar und meine Tränenkanäle ohnehin immer wieder ungefragt. Mir ist dieser Artikel sehr wichtig! Klar hab ich in Physik und Geographie aufgepasst. Aber, dass der Urknall eigentlich kein Knall war, sondern vielmehr ein kollektives in Bewegung setzen, drehen, kreiseln, wirbeln, anziehen, abstoßen; daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Dass eigentlich große, scheinbar unzerstörbare Krone-der-Schöpfung-Lebewesen – die Dinosaurier – durch einen einzigen großen, glühenden Gesteinsbrocken aus dem Weltall ausgelöscht wurden, das weiß ich dann wiederum. Woran ich mich im Planetarium erinnerte, war, dass das mit großer Wahrscheinlichkeit wieder passieren wird. Ich schreibe das nicht, um die Angst zu schüren. Weltuntergangsszenarien finden sich in Kinofilmen genügend. Ich schreibe das mit der dringenden Empfehlung an mich selbst und an dich, dass wir das Leben mehr leben, anstatt es zu planen oder mit Tortendiagrammen in eine hässlich kleine Version zu verwandeln. Sodass das, was eigentlich als großes Wunder gedacht war, vor lauter Unbewusstheit und Streben nach Unendlichkeit maximal als kleiner Pausenfüller zwischen der 8 Uhr Schularbeit, dem 13 Uhr Meeting oder der Hundekastration um 16 Uh vor deinem inneren Auge auftaucht. Und kurz danach wieder verschwindet durch die vielen social media Pop up’s auf deinem Smartphone. Das Leben ist es Wert, gelebt zu werden. Ohne Kompromisse. 100% gelebt. Mit allem Schönen, aber auch mit allem Dunklen; mit allem Schmerz. Das passt schon alles wie es ist, was manchmal gut ist und uns erhellt und manchmal eben vor lauter Schmerz umbringt; uns den Verstand kostet.

All das dämmerte mir wieder. Und, dass das aus welchen universellen Grundprinzipien auch immer wieder geschehen wird, ist mir auch klar. Ein ganzer Planet kann an 1 Tag zerstört werden. Und für dich und mich ist es schon ein Weltuntergang, wenn die korrekte Haartöung ausverkauft ist, der unbeliebte Kollege das Lob für deine Arbeit bekommt, dein Partner dich für eine(n) 10 Jahre jüngere Version von dir verlässt und so weiter. Die Dramen, die uns das Leben täglich präsentiert sind gar nicht so heiter, auch wenn ich mir hier diesen fast lächerlich wirkenden Vergleich anmaße. Deine und meine Konflikte, die sind schon ernst! Die sind schon echt! Versteh mich nicht falsch. Ich will sie nicht wegrennen vor lauter Universums-Phantasien. Es kommt jetzt auch keine klassische Standpauke von wegen „Das sind alles first world problems oder Luxusprobleme.“ Abgesehen davon, dass es nur 1 Welt gibt, auf der wir verrückten Menschen alle wohnen – zumindest eine Zeit – sind deine und meine Konflikte echt. Sie sind da. Und Konflikte streben nach Lösungen. Sonst würden sie uns Beide nicht ständig einholen. Worauf ich hinaus möchte, ist die Klarheit und das Bewusstsein darüber, dass sich der Ärger über die hohe Abschlepprechnung, über die Autotür, die dein Kind beim Spielen ramponiert hat, über die Finanzierung deiner nächsten Mahlzeit echt sind. Sie sind schmerzhaft. Aber sie sind auch lösbar. Ich bin der Meinung, dass das Leben eine Reihe von Ansammlungen an Gelegenheiten für kreative Lösungen ist. Huch, holpriger Satz, aber genau so gemeint. Diese Sehnsucht nach Schmerzfreiheit ist eine Illusion. Die Frage ist nicht „Wie glücklich möchte ich sein?“ sondern „Wie viel Schmerz bist du bereit zu ertragen?“ Denn darin ist das Glück ganz nebenbei mit in begriffen. Es wird schon mitgeliefert. Es gibt nie nur das Eine oder nur das Andere in unserem Leben. Eine Lieferung all-inclusive sozusagen. Aber bitte vergiss auch nicht, dass du & ich, dass wir auch mitten in einer sehr großen, unbegreifblichen Sache drin sind. Wenn du kaufen willst, kauf. Wenn du streiten willst, streite. Wenn du leiden willst, leide. Tu, was nötig ist, um das Leben, diesen verrückten blauen Erdball, der sich in diesem Moment dreht, du aber nicht („Wie zum Teufel ist das möglich?“, fragt der kindliche Anteil in mir!) annähernd zu begreifen. Tu, was nötig ist, um dich in  diesem deinem Leben gut zu spüren. Tu, was nötig ist, um bewusst bei dir und diesem tollen Leben anzukommen. Falls du auch Lust hast auf einen universellen Flash, kann ich dir einen Besuch im Planetarium Klagenfurt empfehlen. Der Eintritt kostet € 10,-. Die 60 Minuten Lebenszeit sind bestens investiert. Das ist keine bezahlte Anzeige, aber eine menschlich getragene. Enjoy the day, verändere die Perspektive auf dich und dein Leben. Bleib wachsam! Ich versuch das auch.

Ich freu mich über deinen Kommentar. Was ist dein Input zur Entstehung der Welt? Wann und wo hast du schon mal einen Weltuntergang erlebt? Alles Liebe für dich – LCC. #showupstayreal #puttheuniverseinwords

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21. Oktober, 2017 By Heidi Lampret

Mein Körper, meine Regeln: Bewusstheit ist stärker als Selbsthass

Foto Theresa Pewal Artist Portraits

Du kannst Tonnen an Make-up verwenden, um alles Schwarze zu kaschieren: deine Augenringe, deine Pigment/ Altersflecken, deine schwarze Seele. Für dein Gegenüber bleibt all das dennoch sichtbar. Ich hab knapp 27 Jahre gebraucht, um zu verstehen was für ein Wunder mein Körper ist. Ich bin nicht perfekt für irgend jemanden, aber ich bin perfekt für mich. Hier 8 meiner vielen Mankos:

  1. Ich habe viele Narben von den Abenteuern im Wald mit meinem Bruder und den Nachbarskindern.

  2. Ich habe zahlreiche Dellen an meinen Oberschenkeln und für den Großteil der modebewussten Konsumbevölkerung für unschön befundene Zitrusfruchtähnliche-Haut. Dass diese wiederum hässlich sei, haben auch wiederum murds gescheite Gurus so definiert.

  3. Ich habe viele blaue Flecken, immer wieder.

  4. Ich habe Sommersprossen, die sich besonders in der heißen Jahreszeit wie Heuschrecken vermehren und Altersflecken ähneln.

  5. Ich hab Naturhaar in der Farbe: Kärntner Mausgrau.

  6. Ich hab Haare auf den Ansätzen meiner großen Zehen.

  7. Ich hab eine Art dritte Brustwarze auf meinem linken Brustbein. Eigentlich ist es eine Mischung zwischen einem Leberfleck, einem Muttermal mit Warzenambitionen. Wirklich hübsch ist das nicht.

  8. Ich tendiere zu latent-permanent unreiner Haut, die viele SupermarktverkäuferInnen dazu aufruft mich beim Kauf von Spirituosen nach dem Ausweis zu fragen.

Hier meine Haltung zu den eben genannten 8 Punkten (Am besten nochmal doppelt lesen. Ist gut fürs Auge. Rauf-runter-rauf-runter. #augenyoga):

  1. Es war eine unfassbare geile Zeit, denn ich bereue kein einziges der Abenteuer. Jede Schramme/ Kerbe erzählt eine Geschichte.

  2. Ich liebe jede Delle, denn sie erinnert mich daran, wie oft ich zu lange an Arbeiten für mich oder Andere gesessen habe oder an Arbeiten für unterbezahlte Jobs. Und sie erinnern mich an den vielen Zucker und die fettigen Snacks, die ich mir deshalb aus Frust, Zeitmangel oder Unbewusstheit 10 Sekunden durch meine Speiseröhre gejagt habe und die nun mein Leben lang an den Hüften vor sich hin schwabbeln. Was wiederum bestens in mein konstruiertes Frauenbild passt, welches mehr Marilyn ist als Posh-Spice. 🙂 Was ich sagen möchte: Ich will aufhören meinen Körper mit so viel unsinnigen Nahrungsmitteln voll zu stopfen. Die Tage an denen ich ein „dickes Fell“ brauchte, sind vorbei. Es ist Zeit für ein leichtes, schönes Leben.

  3. Sie erinnern mich nicht so grob und hart mit mir umzugehen; mich zu lieben. Die blauen Flecken erinnern mich daran, dass es sanftere Wege gibt, um mit mir und meinem Körper ins Spüren zu kommen. Die Härte war lange Zeit wichtig, aber heute darf ich sie gehen lassen.

  4. …und die mag ich trotzdem sehr gern!

  5. Okay, ich geb‘ zu, ich hab mir mittlerweile blonde Strähnen machen lassen bei meinem einmal-pro-Jahr-Friseurbesuch. Sorry! Das bisschen pimpen musste sein. Ein bisschen glamour schadet nie!

  6. Alle Anti-Fuß-Menschen müssen jetzt bitte weg-lesen. Is so! Wäh!

  7. Aber sie ist halt Teil von mir.:-)

  8. Das ist immer das Indiz dafür, dass ich grad nicht ehrlich mit mir bin, nicht offen meine Gedanken ausgesprochen habe, dass ich zwischenmenschlichen Stress habe, die Sprache meines Körpers wiedermal nicht übersetzen kann (das kleine Übersetzer-Äffchen hat manchmal Urlaub oder isst grad Bananen und schaut sich alte Knight-Rider Folgen an) oder dass ich schlicht und einfach Punkt 2 (Ernährung) missachtet habe; grad wegen der Aufzählungen im vorherigen Satz. Und btw ich bin schon in einem Alter wo ich gerne jünger geschätzt werde. Abgesehen davon ist das mit dem Alter sowieso eine widersinnige Sache. Wir werden ja eh alle älter. Insofern…pfffff….what shells.

Foto Christine Kostner Photographie

Ich mache viel Sport, viel Spaß, ich springe gern in Regenpfützen bei massivem Platzregen, liebe den Wechsel zwischen Tag und Nacht, liebe es, knackigen Salat zu waschen und zu marinieren oder die selbstgemachten Käs’nudeln ins kochende Wasser zu werfen, während ich zu Thunder auf- und ab jumpe. Ich weiß wie es ist, sich mit 13 in viel zu weiter Kleidung zu verstecken, weil die coolen Jungs dir G’nackwatschn verteilen, weil du noch nicht ganz so viel „Vorbau“ vorzuweisen und/ oder zu viele Pickel hast und nicht die neuesten Jugend-Gadgets besitzt*, die ein Gefühl von Zugehörigkeit heucheln. Ich weiß was es heißt eine Diät nach der nächsten zu versuchen, wieder 0,5kg an Gewicht zuzulegen. Ich kenne die vergleichend-eifersüchtigen, sich selbst geißelnden Blicke, sobald ein schönes Mädchen deinen Weg kreuzt. Ich weiß was es heißt den eigenen Körper zu hassen und vor dem Spiegel stehend zu heulen.

Aber weißt du, die Lösung für ein gesundes Körperbewusstsein war – in meinem Fall jedenfalls – unmittelbar vor meiner Nase. Die ganze Zeit über. Ich Ich habe immer im Außen gesucht, verglichen, gehungert, übertrieben gesportelt, übertrieben gegessen, gegessen wenn ich glücklich, zufrieden, besonders strafend war; ich hab geweint, mich verkrochen, in viel zu weite Kleidung geschwungen, mich klein und unbedeutend gefühlt, ich war von Neid und Gier zerfressen, meinen Schlankheitswahn endlich in die Realität umzusetzen. Denn dahinter stand meine Phantasie, ich wäre dann ein liebenswerter, wunderschöner, absolut glücklicher Mensch. Die perfekteste, liebenswerteste, begehrenswerteste Version von mir. Kollidiert hatte diese Vorstellung mit dem Fakt, dass ich mein Frau-sein unglaublich abstoßend fand. Wurde ich doch erzogen, um möglichst hart zu arbeiten. Bis die Finger wund sind und dann nach Möglichkeit noch ein bisschen härter. Jeder Snack bedeutete einen Schritt rückwärts. Einen Schritt weiter weg von diesem Leben, dass ich irgendwann führen wollte. Ein Leben, dass ich so an mein Aussehen knüpfte. Mein Lebensglück, dass ich mit oberflächlichen Zielen zu erreichen glaute. Dabei war die Lösung immer in mir. Es ist mir wichtig, das nochmals zu betonen. Denn ich bin der Mensch/ die Frau, die ich immer im Außen suchte. Schon jetzt. Wie geil ist das denn?? Der Wahnsinn!!

Die Herausforderung war mich anzunehmen. All diese Jahre dieser Selbsthass, diese Zweifel, diese Sehnsucht auf ein nie eintreffendes Leben. Dabei war genau die Selbstliebe im Hier und Jetzt die Aufgabe. Dieser Körper pumpt täglich Unmengen an Blut durch Körper und Extremitäten. Dieser Körper reproduziert die gesamte Zellstruktur innerhalb eines Tages neu. Er reorganisiert sich bei Viren oder Keimen (alleine im Darm, man bedenke was da abgeht). Er sorgt dafür, dass die Schleimhäute in Takt sind. Er lässt mich träumen und wach sein. Er lässt mich sprechen, denken, fühlen. Was für ein Wunderwerk. Da wird es ja wohl nicht zu viel verlangt sein, diesen Körper ein wenig zu warten, ihm natürliche Nahrung, ausreichend Flüssigkeit, Ruhe und Liebe zu gönnen. Unglaublich, mein Hirn und Bewusstsein arbeiten 24h täglich, ohne Pause, ohne Updates oder Wartung! Ich denke „greifen!“ und meine Hände greifen. Ich denke „laufen“ – und ich laufe. Wie phantastisch ist das denn?

Foto Theresa Pewal Artist Portraits

Manchmal bin ich so glücklich mit und in mir drin, dass ich gerne alle 10 Sekunden auf die Knie fallen und Danke sagen würde. Ich bin ein Wunder. Genau wie du, lieber Mensch, der diesen Beitrag grade liest. Wenn Babies geboren werden, sind wir immer fasziniert. Wir sind stolz wenn sie lachen, besorgt wenn sie weinen, amused, wenn sie pupsen, erleichtert wenn sie die Windel prall füllen und klatschen euphorisch, wenn sie ihre ersten Schritte tun. Spätestens während der Pubertät hört die Begeisterung auf, und alles schwappt in Genervtheit – für alle Parteien – und knallende Türen über, sind da wo einst offene Arme waren nun verschränkte Arme, ob des Unverständnisses.+

Wir werden erwachsen und vergessen, dass wir das Wunder  sind. Wir vergessen dankbar zu sein. Ich habe 27 Jahre vergessen dankbar zu sein. Und dafür schäme ich mich. Ich entschuldige mich täglich bei meinem Körper. In jeder Krise oder schwierigen Situation meines Lebens war – quasi als dramaturgische Draufgabe – mein letzter Gedanke: „Und ein fettes Schwein bist du auch noch!“ Wie krass ist das denn bitte? Keiner Freundin, keinem meiner liebsten Menschen würde ich je so harte Worte entgegen bringen. Aber bei mir selber konnte ich das ja so viele Jahre machen. Wirklich, du heiliger Körper, danke für deine großartige Arbeit Tag für Tag, Nacht für Nacht.

Ich weiß nicht, ob diese #bodypositivity ein statisches Bewusstsein bleibt. Ich denke nicht. Es wird immer wieder Tage geben, an denen ich meine Dellen im Fokus habe oder das Gefühl, meine Nase wäre irgendwie zu pompös. Aber diese grundlegende Dankbarkeit ist prinzipielll jeden Tag da. Und das war fast 3 Jahrzehnte Arbeit. Ich leibe meinen Körper. Wie er ist, ist er richtig. Ich verschwende meine Lebenszeit und -energie nicht länger, jemand zu sein, der ich nicht sein soll bzw. der ich nie sein werde aufgrund meiner größenwahnsinnigen Ansprüche an mich selbst. Denn niedriges Selbstwertgefühl ist wahrlich eine Sünde. Wir werden an 1 Tag geboren, wir sterben an 1 Tag. Es können große Dinge an nur 1 Tag geschehen. Warum also nicht heute, an diesem Tag entscheiden glücklich, dankbar und voller Liebe für den eigenen Körper sein? Lass es uns versuchen, lieber Mensch. Alles Gute dafür!

Deine innere Haltung macht dich lebenshungrig, freudestrahlend, unwiderstehlich verführerisch, echt. Wie geht’s dir damit? Womit haderst du? Was liebst du an deinem Körper – wofür bist du ihm dankbar?

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4. Oktober, 2017 By Heidi Lampret

Annehmen & Loslassen

Ich habe die heutige Alltagsheldin vor nun mehr als 5 Jahren im Zuge des Psychotherapeutischen Propädeutikums (= Erste Ausbildungsphase PsychotherapeutIn) an der AAU-Klagenfurt kennen gelernt. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, es war Liebe auf den ersten Blick. Zwei Seelen, die sich sofort magnetisch anzogen. Nicht selten fanden wir uns daher intensiv, stundenlang plaudernd im Innenhof der Universität wieder, anstatt den analytischen Freud-Kurs zu besuchen. Wir haben unsere Geschichten, Leben miteinander geteilt; uns unsere freudigen Gesichter, aber auch unsere dunklen Anteile sofort gezeigt. Mir kommt’s vor, sie schon ewig zu kennen. Ich bin dankbar für unsere Freundschaft und darf dir Alltagsheldin Melitta heute vorstellen.

Foto: HL-Photography

LCC: Wer bist du?

Melitta: Ich bin Melitta Narovnigg-Katschnig und lebe in Eberndorf. Ich bin seit 21 Jahren mit Rupert verheiratet. Wir haben eine Tochter – Hemma. Mittlerweile sind wir wieder allein zu Hause, weil sie zum Studieren in Wien lebt. Vor 11 Jahren hatte ich einen Unfall. Ich war mit dem Rennrad für einen Triathlon trainierend unterwegs. Das Jahr 2006 vergesse ich nicht mehr. Ich bin am 20. Juli 2006 mit dem Rad losgefahren und 9 Monate später im Rollstuhl wieder nach Hause. Ein Auto nahm mir die Vorfahrt. Es ist viel geschehen in diesen 9 Monaten. Das Wildeste passierte erst nachdem ich von der Erst-Reha nach Hause kam. 2 Jahre lang befand ich mich in einem Ausnahmezustand. Da hat der Lebenskampf begonnen. Mein ganzes Leben war schlagartig anders. Mein 6. Brustwirbel ist seitdem gebrochen. Mit einer chirurgischen Methode wurde mein 5. Brustwirbel mit meinem 7. verbunden. „Miami Moss“ nennt sich diese gefinkelte Methode, mit ganz viel Schraubalan und so. Ich hab eine spannende Trophäe davongetragen und habe seither einen inkompletten Querschnitt. Die Sensorik ist da, die Motorik leider nicht; entgegen meinen Wünschen. Die rechte Zehenreihe kann ich seit ca. 8 Jahren bewegen. Mehr kam nicht wieder.

LCC: Hast du Unterstützung in Anspruch genommen? Was ist dein Gesamtfazit dieser 2 Jahre Ausnahmezustand?

Melitta: Ich habe ein sehr gutes soziales Umfeld, das mir geholfen und mich getragen hat. Aber die Kämpferin war ich. Ich habe eine Physio-Freundin, die mir in dieser Zeit etwas ganz Entscheidendes sagte: „Entweder du kämpfst, dann geht noch immer etwas, oder du lässt dich fallen und wirst ein Pflegefall. Aber es ändert nichts an deinem körperlichen Zustand.“ Ich hab mich fürs Kämpfen entschieden. Das Kämpfen hat sich gelohnt! (Freude strahlend).

LCC: Ich erlebe dich auch als sehr lebensfroh und lebensnah!

Melitta: Es hat sich so viel verändert. Ich weiß oft gar nicht mehr wie ich vorher war. Da ist alles nur noch verschwommen. Weil ich jetzt im JETZT bin. Die Leute sagen mir, ich war schon immer jemand, der tiefer oder mehr (nach-)gedacht hat als andere. Ich empfinde es so, dass meine innere Haltung nach dem Unfall ganz klar wurde. Das Allerwichtigste war die Erkenntnis: Mein altes Leben musste ich loslassen, das neue annehmen.

LCC: Das klingt nach einem sehr bitteren Kampf!

Melitta: Es kostete mich 2 Jahre Ausnahmezustand. Aber ich ging jeden Schritt sehr bewusst. Im Nachhinein betrachtet sehe ich keine Möglichkeit, Krisen wie diese anders zu meistern.

LCC: Du meinst, dich mit dir selbst zu konfrontieren?

Melitta: Ja! Und jeden einzelnen schmerzhaften Schritt musst du gehen, auch wenn du noch so mutig bist oder verletzt; oder kraftlos und voller Wut. Du musst da durch! Das ist dieser Kampf von dem ich spreche. Der hat für mein Leben 100%ig gepasst. Ich musste mir erlauben, alles was mir auf diesem Weg begegnet auszuleben/ auszuhalten. Jeden Seins-Zustand, jedes Gefühl, jedes „Ich kann nicht mehr.“ oder „Ich möchte das nicht.“. Ich musste mich mir selbst zumuten; mich mir selbst erlauben. Zugleich brauchte ich auch ein Umfeld, das mir das erlaubte. Meine Uhr tickt jetzt anders. Meine Leute, meine Lieben mussten verstehen lernen, dass nichts mehr so hurtig geht, wie bisher. Sie haben mich voll unterstützt; mit ganzer Liebe und tun das heute noch. Dafür bin ich sehr dankbar. Denn so lässt es sich leichter mutig sein.

LCC: Das heißt der Unfall hat deine Lebensroutine und -geschwindigkeit beeinflusst?

Melitta: Total ja. Ich mache immer so Schmäh’s im Winter, wenn die Gehsteige hier in Eberndorf nicht gut geräumt sind. Da muss ich oft zu Hause bleiben. Wenn es salznass und teils geräumt ist, wage ich mich hinaus. Ganz oft spüre ich die Blicke der hastigen, ungeduldigen Autofahrer, die nicht überholen können, weil ich jetzt hier die Straße entlang rolle. Ich sag immer „Ich bin die Entschleunigung in Person für Eberndorf.“

LCC: Die Dinge, die ich von dir weiß, lassen mich glauben, du warst vor dem Unfall gar nicht so entschleunigt. Im Gegenteil; dort und da und überall zugleich. Am besten mit 10 Händen alles zugleich tun wollen; mit 16 Beinen jeden Berg rasch erklimmen wollen. Liege ich damit richtig?

Melitta: So ist es. Ich war ein Hans Dampf in allen Gassen. Ich war nie „nur“ auf 70 % unterwegs, sondern immer auf 120 %. Vollgas! Egal wo ich landete. Es war immer mit hohen Ansprüchen an mich selbst. Dann kam offenbar der Keulenschlag. Ich denke oft nach, ob es nicht eventuell Zeichen in meinem Leben gab. Bestimmt! Aber ich hab sie nicht kapiert. Und dann bekam ich ein radikales. Stopp! Es gibt noch mehr. Und mittlerweile komme ich mir reich und beschenkt vor, dass ich diesen Unfall hatte. Weil, so pervers das klingt: Ich bin privilegiert. Es hat mich aus dem Radl (Hamsterrad) heraus geschmissen. Ich bin frei durch meine 100%ige Invalidität. Und so gehe ich das Leben ganz entspannt an.

LCC: Unabhängig davon wie mobil du durch die Welt gleitest/ rollst – gibt es etwas, dass du bereust? Gibt es einen Rat, den du uns mitgeben möchtest?

Melitta: Ich glaube, ich habe ziemlich viel richtig gemacht. Mit 30 bin ich von Österreich abgehauen und meinem Traum gefolgt. Ich habe 1 Jahr in Australien gelebt. Die Bilder, die ich dieses 1 Jahr eingesaugt habe, vergesse ich mein ganzes Leben nicht. Ich bin reich beschenkt zurück gekommen und habe nach wie vor Kontakt nach Australien. Das hätte ich mir nicht verziehen, wenn ich diesen Mut nicht gehabt hätte. Denn aus heutiger Sicht, in der Situation in der ich bin, könnte ich das alles in dieser Qualität nicht mehr erleben.

LCC: Also: Raus in die Welt, spür dich selbst, feiere das Leben, folge deinem Bauchgefühl. Ist das dein Tipp?

Melitta: Ja genau. Sag nicht „irgendwann“ oder „(morgen) vielleicht, wenn ich den Betrag xy verdient habe.“ oder „Wenn die Kinder aus dem Haus sind.“ Du weißt nicht, ob dieses irgendwann; dein großer (Ego-)Lebensplan nicht durch die Pläne des Lebens durchkreuzt wird!

LCC: Was heißt echt sein für dich?

Melitta: Dass ich ehrlich zu mir selbst bin. Dann kann ich es auch der Welt zeigen. Wahrhaftig sein! Ich sage das sehr oft. Zu mir selbst zu stehen; zu allem, was mich ausmacht. Körperlich wie seelisch. So wie ich bin, bin ich richtig. Wahrhaftig gefällt mir gut. Du musst deinem Gegenüber nichts vormachen. In meiner Situation ist das so. Ich kann gar nichts anderes zeigen und das macht mich reich. Denn ich muss niemandem mehr etwas vormachen, immer schneller, besser, erfolgreicher sein. Ich bin jetzt so und genau so bin ich richtig.

LCC: Das zeugt von wahrer Größe, dass du das nach all diesen Jahren sagen kannst. Ich kenne keinen Menschen, der morgens aufsteht und sagt: „Cool, dass meine Füße funktionieren.“ Es ist das Normalste der Welt. Das ist es aber nicht! Wenn man plötzlich damit konfrontiert ist, im Rollstuhl zu sitzen, ist es plötzlich nicht mehr selbstverständlich.

Melitta: Ja, aber diese Schritte der Trauer und der Wehmut habe ich wahnsinnig leben lassen. Ich habe sie wahrgenommen, gespürt. Ungefiltert. Denn das ist das Leben. Manchmal ist es super gut und dann wieder ganz bitter und fast unerträglich. Aber es ist Leben. Pur! Hätte ich das nicht gemacht, hätte es mich irgendwann eingeholt. In jeder Krise ist es wichtig jeden einzelnen Schritt zu spüren. Egal wie schmerzhaft er ist. Es geht nur step by step.

Foto: HL-Photography

LCC: Das heißt diese tiefe Tiefe muss wahrgenommen werden, um wieder neuen Mut zu fassen und mich mit Fragen auseinanderzusetzen wie „Wie gestalte ich mein Leben? Wie bin ich in dieser neuen Version? Wie gestalten ich dieses neue Leben? Wer bin ich jetzt und wie bin ich?“ Die Tiefe führt dich näher zu dir selbst?

Melitta: Ja genau. Aber es ist nichts selbstverständlich. Und jedes Mal kommt tiefe Dankbarkeit in mir hoch, weil ich diese Selbstverständlichkeit gegenüber dem Leben und allem was ist, nicht mehr habe. Ich bin froh, dass ich mich der Krise gestellt habe. Und mir selbst. Das ist ein wahnsinniges Feeling.

LCC: Es ist sehr berührend dich so zu sehen und dir zuzuhören. Man spürt, dass das echt ist und echt da ist. Dass du echt bist. Du hast nichts im Zitate-Kalender gelesen und gibst es pseudo-psychologisch anspruchsvoll einstudiert weiter. Du hast diese scheiß harte Arbeit auf dich genommen; deiner Angst in die Augen geschaut, dich mit dir beschäftigt, denn weglaufen konntest du von heute auf morgen leider nicht mehr. Das ist sehr faszinierend, nicht nur heute, weil wir ein Interview führen, sondern jeden Tag unserer Freundschaft. Danke dafür, Melitta!

Melitta: Es ist nicht anders, es ist genau so. Ja! Sag ja zu dir und dem Leben. Sag ja zu dem Scheiß mit dem du grade konfrontiert bist. Es steckt ein Sinn in allen Höhen und den Tiefen. Ganz besonders in den Tiefen. Das Leben will gespürt werden.

 

Foto: HL-Photography

LCC: Was bedeutet für dich Frau-sein?

Melitta: Da hat sich einiges verändert mit meiner Verunfallung, was für mich phänomenal ist. Damals waren Rupert und ich noch relativ jung verheiratet. Das war auch für meinen Mann ganz einschneidend. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass er das Handtuch schmeißen wollte. Zumindest hat er mir das Gefühl nie vermittelt. Er war und ist so liebevoll. Wir sind noch mehr zusammen gewachsen als Mann und Frau. Natürlich hat sich vieles verändert, grade im Bereich der Sexualität. Der Unfall hat uns nicht auseinander gesprengt. Rupert sagt immer so lieb: „Es passt kein Löschblatt zwischen uns zwei.“ Es war nie ein Moment da, wo er oder ich, oder wir Beide das Gefühl gehabt hätten: „Jetzt geht es nicht mehr. Lass uns aufgeben!“ Wir waren uns schon vorher so nahe, daher haben wir diese Herausforderung als Mann und Frau; als Eheleute, nie hinterfragt. Wir haben an unserer Beziehung nicht gezweifelt. Wir haben das durchgestanden. Das war für uns ganz klar.

Wir amüsieren uns an diesem Punkt des Interviews darüber, dass der Nachbar mitten im Interview die Kreissäge startet. 😀 Das dauert auf der Audio-Aufnahme grade ca. 3 Minuten. Herrlich. Es schüttet aus Kübeln, wir plaudern am Balkon und der Nachbar hat nichts Besseres zu tun, als Holz zu schneiden.

LCC: Melitta – bitte beende diesen Satz! Ich bin Alltagsheldin, weil…?

Melitta: …weil ich fühle, dass ich wieder ziemlich mitten im Leben bin. Der Satz gefällt mir selber ziemlich gut. Ja!

LCC: Ziemlich cool! Du bist eine der wichtigsten Menschen in meinem Leben und dein Lebensgefühl möchte ich mit der Welt teilen.

Melitta: Och Schatzale! 🙂

LCC: Wenn du etwas mit der Welt teilen könntest – egal ob mit der virtuellen oder der richtigen – was wäre das?

Melitta: Etwas, dass ich in diesen 10 Jahren gelernt habe, ist, dass es immer um die gleiche Geschichte geht: annehmen, loslassen, im Hier und Jetzt bleiben. Wir wissen das alle, tief drin, aber wir tun das nicht. Wir tun alles, um unsere Endlichkeit wegzudrücken. Und ich hab das Gefühl, dass ich mir einiges an lebensbejahender Haltung erst andressieren musste! Wenn du das schaffst; selbst wenn es nur kleine Sequenzen im Alltag sind, in denen du Jetzt bist, hast du schon gewonnen.

LCC: Es ist so ein schmaler Grat, auf dem man heute wackelt, morgen wieder stabil ist. Mehr vom Einen zu machen, weniger vom Andern. Weniger Sorgen, mehr Freude. Diese Bewusstheit unserer Verwundbarkeit und Sterblichkeit erschlägt uns und sofort ersticken wir sie im Keim oder im Alkohol, oberflächlicher Unterhaltung, exzessivem Sex, Nahrungsaufnahme, Arbeit; weil diese Gedanken so furchtbar beängstigend sind; uns die Luft zum Atmen nehmen.

Melitta: Und das ist aber auch Thema in jeder Krise (annehmen & loslassen). Du kannst es nur durchs bewusste Hinschauen, Hinspüren bewältigen. Und, dass du dich nicht unter Druck setzt ist wichtig und der Ungeduld nicht das Ruder übergibst. Nach dem Motto: „Das müsstest du doch jetzt schon wissen/ gelernt haben.“ Gib dir alle Zeit der Welt, aber verlier nicht den Fokus auf dich selbst!

LCC: Es liegt also viel Sinn in diesen Krisen? Dass wir sie „brauchen“ klingt jetzt fast masochistisch, aber brauchen wir Krisen, um zu wachsen?

Melitta: So pervers es klingt, ich bin reicher geworden durch diesen Keulenschlag. Es gibt einen Sinn. Aber welchen, kannst nur du selbst ergründen. Diesen gefinkelten Bauplan tragen wir alle in uns. Sei mutig und schau hinein in dich!

LCC: Was gibt deinem Leben Sinn?

Melitta: Alles was mir begegnet; alles jetzt! Es ist so arg. Es hat sich in den letzten Jahren meiner Rollstuhlzeit so viel zum Guten gewendet. Alles hat seine Richtigkeit. Das hat sich so intensiv entwickelt. Ich erlebe mich in ganz vielen Situationen sehr bewusst. Wenn eine Tür zugeht; eine Situation ausweglos erscheint, sehe ich sofort 10 neue Optionen. Für mein Leben habe ich viel gelernt. Totale Wahrnehmung stärkt das Vertrauen ins Leben. Ich hab total gewonnen. Es ist schön, dass wir das heute im Interview so komprimiert festhalten und teilen.

LCC: Boah du bist so arg. Der Satz wirkt! (LCC seufzt vor lauter überwältigender Bewusstheit). Du überfährst mich manchmal mit deiner Liebe zum Leben. Ich kenne wenige Leute, die Funken sprühen vor lauter Bewusstheit und Klarheit. Ich will dich hier nicht zeigen aus einem Voyeurismus heraus oder um auf die Tränendrüse zu drücken, sondern wegen deiner Bewusstheit. Dein Leben ist nicht immer nur positiv oder rosig. Kein Leben ist das. Wir Menschen erleben Krisen. Aber dein Umgang damit ist bemerkenswert. Du siehst diese Logik im Lebensfluss und arbeitest stets intensiv daran, den Moment zu spüren, Emotion frei zu lassen, den Geist weder in der Vergangenheit, noch in der Zukunft zu verlieren. Du bist immer so wie du bist: Nah am Leben. Ich sitz mit dir nie zusammen und wir unterhalten uns übers scheiß Wetter oder die schiefe Wirtschaft, das neue Auto vom Nachbarn oder sonstige Belanglosigkeiten. Wir sprechen immer über uns und über das, was grade ist und das darf hell, dunkelbunt und manchmal schwarz sein.

Wir amüsieren uns an dieser Interviewstelle wieder über die Kreissäge, weil wir uns schon fast nicht mehr hören zwecks Regen und Kreissäge. 😀

Foto: HL-Photography

LCC: Was möchtest du allen anderen AlltagsheldInnen da draußen mitgeben?

Melitta: Was mich so einschneidend ergriffen hat war, mein Zustand in der Erst-Reha. Da befand ich mich im ersten großen Schock. Ich komme aus der katholisch studierenden Jugendszene. In die Kapelle für uns Patienten habe ich mich täglich hin begeben; hin gerollt. Ich hab gefragt und gefragt und keine Antwort erhalten. Bis ich Jahre später merkte, dass alles in mir selbst war. Alle Antworten. Es ist ganz entscheidend bei dir selbst zu bleiben. Und hör auf dich zu vergleichen!! Bitte hör auf dich zu vergleichen! Denn es ist der Weg des Anderen. Nicht meiner! Ich bin das Göttliche im Universum. Aber der Andere ist es auch. Wenn wir schon von Gottheiten sprechen, sollten wir in uns suchen und ganz besonders zugeben, wo wir nicht besonders göttlich oder zwischenmenschlich appetitlich sind. Und der übernächste ist auch göttlich. Alle zusammen sind wir verbunden. Wir sind ein großes Konglomerat, es darf keiner fehlen, weil jeder wichtig ist. Und wir passen alle im Großen und Ganzen zusammen. Jeder mit seinen Stärken und Schwächen oder seinen Handicaps. Durch eine tiefe leidvolle Erfahrung bin ich drauf gekommen, dass das so ist und mehr auf mich selbst zu schauen. Nicht schauen, was der andere kann und ich nicht. Dieses verzweifelte Suchen im Außen hat für mich endlich ein Ende. Und wir Menschen tun das ja so gern: Wir führen Beziehungen, die nicht gut tun und machen dann das Gegenüber für unser Unglück verantwortlich, oder wir suchen in Süchten oder was und wo auch immer.

LCC: Während wir so miteinander plaudern tauchen die Sätze auf: „Was du suchst ist in dir. Es ist schon da. Geh in die Stille, geh in dich. Es ist schon da.“

Melitta: Ja, das ist die Botschaft. Definitiv. Sehr wertvoll. Das möchte ich anderen AlltagsheldInnen in jedem Fall mitgeben. Aber die wissen das eh.

LCC: Oder auch nicht…

Melitta: Wir sind in so einer scheiß Vergleichsgesellschaft gefangen. Kaum ist das Baby da, fragen wir: „Wie groß ist es, wie schwer? Was kann er/ sie schon? Ist er/sie eh brav?“ Immer diese sozialen Zuschreibungen und Zwänge. Das nervt und ist nicht notwendig.

LCC: Es gibt einen Satz, den du sehr gern verwendest: „Leben, um zu sterben.“ Was meinst du damit?

Melitta: Das umfasst den ganz entscheidenden Aspekt im Hier und Jetzt zu sein. Nach meinem Unfall ist das ganz klar gewachsen. Schieb nicht so lange deine Konflikte vor dir her. Mach nichts halbherzig. Lebe leidenschaftlich! Ich verwende den Satz nicht im Sinne einer Panikmache, sondern um die Bewusstheit, die Freude am Leben zu leben.

LCC: Der Satz funktioniert von beiden Enden sehr gut. Immer wieder müssen wir im Leben ein Stück weit sterben, um (neu) zu leben. Konflikte überwinden, kreative Lösungen in Krisen finden. Das Ego glaubt aber immer, sterben zu müssen. Es verliert die Materie, die Substanz.

Melitta: Du musstest auch weit weg von dir gehen, um mit so viel Liebe durchs Leben zu gehen. Du hast immer die Chance und immer die verdammte Pflicht, das Beste aus dir und dem Leben zu machen. Atmen, leben, sein, tanzen, arbeiten – alles Geschenke. Wir sollten alle aufwachen. Das macht so frei!! Das Leben im Jetzt würde uns alle so dermaßen befreien. Es lässt so vieles wahrnehmen. Ein ganzer Rattenschweif an Kleinigkeiten, der plötzlich sichtbar wird.

LCC: Ich glaube das ist deine super-power. 🙂

Nach meinem Unfall konnte ich zwar die Beine nicht mehr bewegen, dafür mich selbst spüren; das was mir wichtig ist, mein ganzes Gefühlsspektrum, das Leben selbst – umso mehr!

LCC: Vielen Dank für deine Zeit, das Gespräch und das gemeinsam echt sein! Danke für dich!

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27. September, 2017 By Heidi Lampret

PS: Liebe Grüße an dich, Schnautzbart-Pete!

Verkehr

…ist ja an und für sich nicht schlechtes. In Öffis, Supermarktgängen oder auf der Straße kann Verkehr allerdings ganz schön ungemütlich werden. So geschehen letztens: Verkehrstechnisch gewappnet, voller Vertrauen in die Zurechnungsfähigkeit, das Verständnis und das Zuvorkommen der Menschheit im Allgemeinen, die mit mir in den Stromschnellen des morgendlichen Berufsverkehrs dahin fetzen, trage ich mein Fahrrad die Kellerstufen hoch. Gleiten wäre mir lieber. Da spricht das verträumte, auf Verzögerung der Zeit hoffende Einhorn in mir. Ich starte in den Tag, radle los. Tiefe Stirnfalten, wildes Gestikulieren und für mich tonlose Gebärden gegen Freisprecheinrichtungen blitzen zwischen getönten Scheiben in der sanften Morgenröte und dem aufsteigendem Nebel über taugeküsstem Grasgrün von Verkehrsinseln entgegen. Lauter beschäftigte, wenig gegenwärtige Menschen wohin ich schaue. Der Helm blitzeblank und tief in meiner, beim Kopf gen Schlüsselbein senken sich ergebende Doppelkinnfalte festgezurrt, voller Freude für den Tag in die Pedale tretend.

Da kommt sie wieder die mir zu gut bekannte, kleine Passage, die ich entgegen gängiger Vorschriften der StVo. für eine Distanz von ca. zehn Metern via Gehsteig passieren muss. Die Straße ist an dieser Stelle furchtbar eng und eigentlich nicht vorhanden, sondern Harrod’s-ähnlich mit Straßenschildern verschmückt (Ich weiß, dass es geschmückt hieße, aber mir gefällt das so viel besser, weil’s das Gesehene, besser vorstellbar macht). Ich sehe die Tiefgarageneinfahrt vor mir, die zu Büroarbeitsplätzen belaptopter Businessmenschen, gehetzter Anzugträger und damenkostümierter Buchhalterinnen führt. Ich werde langsamer, schwinge das rechte Bein über die Mittelstrebe vom Rad, tendiere zum Absteigen, blinzle kurz in die Morgensonne und freue mich auf meinen nächsten tiefen Atemzug bevor ich endgültig stehen bleibe. Ganz. Ich stehe. Ja. Ich stehe. Wie bei Stop, also ohne Bewegung. Damit diese Betonung noch mal ganz klar für sich alleine steht. Ein mittelalterlicher Anzugsträger mit Stern auf der 1985er Karre in gold metallic bremst sich fast die Felgen aus den Achsen.

 

Foto Theresa Pewal Artist Portraits

Der wutentbrannte Kerl lässt die Fahrerscheibe hinunterfahren – nein er kurbelt sogar, was der situativen Dramatik ja echt noch einen Tick mehr Pfeffer verleiht – und brüllt hasserfüllt in meine Richtung. Piep-Geräusche würden an dieser Stelle als Audiospur über seinen wenig freundlichen verbalen Glanzmoment gelegt werden, wäre das hier eine TV-Show, nachmittags mit mittelgradig bis niedriger journalistischer Qualität und gesellschaftlichem Relevanzgrad. Der detaillierte Wortlaut spielt hier wenig Rolle, zumal ich bei Schreiattacken wie dieser grundlegend auf Durchzug schalte. Schreien ist Ausdruck der Überforderung. Kenne ich von mir. Schreien= ins schwarze Treffen, mit eigenen Konflikten so überfordert sein und den anderen verantwortlich zeichnen. Herrlich. Das kleine Äffchen in meinem Honigtopf-Kopf läuft in seinem Pagenkostüm im Kreis, während es das kleine Becken in seinen Händen taktvoll aneinander schellen lässt (vgl. Brahms – Brahms – Symphony No. 4 in E-Moll, Op. 98 ab Minute 11 – da wird’s besonders dramatisch).

Ein bisschen Kaufhausmusik und das nette Vogelgezwitscher aus der Umgebung lasse ich doch noch meinen selektiven Audiofilter passieren. Wow, der olle Schnautzbart-Pete ist ganz schön aufgeregt. Wenn ich das Muskelwechselspiel von Anspannung und noch mehr Überspannung seiner oralen Gegenden korrekt interpretiere – denn in Lippenlesen bin ich wahrlich keine Meisterin – wiederholt er oft die Information, ich sei der dümmste Mensch auf Erden oder so. Und was ich mir nicht erlaube hier am Gehsteig herumzufahren. Der Rest wird wieder durch mein süßes Gehirnfasching-Äffchen unterbrochen. Lustig und erfrischend. Hach, Giacciomo würde ich ihn nennen, entertainte er mich auch real nach arbeitsträchtigen Montagen oder brächte mir einen erfrischenden Martini. Nur hinterlistig sollte er nicht sein. Und bitte auch kein Taschendieb. Also sollte ich Giacciomo lieber nicht aus Taschendiebregionen adoptieren. Der Bart kräuselt sich förmlich nach oben, so garstig artikuliert der energetisch stark überspannte Mann; sogar ein bisschen Spuke kommt mit, ein paar Fäden jedenfalls (Ich wollte Schaum schreiben, aber das liest sich dann doch zu dramatisch). Fühlt er sich doch noch mehr gereizt durch meinen nonverbalen Namaste-move.

Ja richtig gelesen, statt meiner üblichen Schockstarre, wandte ich wie durch Zauberhand heute mal eine neue Bewältigungsstrategie an. Ich verbeugte mich vor ihm und sagte kein Wort. Die Knie waren zur Abwechslung mal nur ein bisschen weich, nicht wie sonst kurz vor dem Kollaps in Situationen die mich glauben lassen, ich habe einen Fehler gemacht. Mehr als links und rechts schauen, kontrolliert anhalten und eh-ein-schlechtes-Gewissen-haben wegen dem baustellenbedingten Ausweichmanöver kann ich dann aber echt auch nicht mehr machen, um mich StVO-konform zu verhalten.  Die Verbeugung war ernst gemeint. Keine Provokation. Ich atme tief durch. Das bringt ihn richtig auf die Palme. Aha. „Seltsames Reaktionsmuster für eine respektvolle Geste“, denke ich. Ich überlege, ihm noch eine Friedensgebärde zu entgegnen (#peace), lasse aber die Hände langsam wieder sinken, da ich fürchte er fiele mich sonst direkt von der heruntergelassenen Scheibe über den Gehsteig her an. Die Speichelfäden sind nämlich mehr geworden; die Lautstärke blieb gleich war sie doch nicht mehr steigerbar.

Mhmhm. So stehe ich hier und merke erstmalig in meinem Leben, dass der fiese Schmerzkloß um meinen Kehlkopf, der sich für gewöhnlich seit Kindertagen bei Schreiattacken diesen Levels deutlich bemerkbar macht und noch heute pawlow’sch-rasant aktiviert wird, gar nicht so notwendig ist. Für gewöhnlich schießt der Befehl „Wassermarsch“ über mein neuronales Netzwerk mit voller Wucht (#arschbombe) in Richtung Tränendrüsen. Ich plärrte für gewöhnlich, weil ich ja eh nix falsch machen möchte und keinem zur Last fallen. Aber heute ist das anders. Der Körper vibriert auch nur minimal, wurde diesmal doch weniger Adrenalin aus der Nebennierenrinde ausgeschüttet.

Bravo, Lady Cupcake. Sehr gute Weiterentwicklung. Was der olle Schnautzbart-Pete offenbar nicht mitbekommen hat, ist mein blitzeblanker Helm, der tief in meiner, beim Kopf gen Schlüsselbein senken sich ergebende Doppelkinnfalte festgezurrt ist sowie mein voller Lebensfreude in die Pedale tretendes, StVo konformees Verhalten. Da kann wohl keiner was dafür. Was ich wiederum nicht wissen kann ist, dass ihn der fürchterliche Streit mit seiner ältesten Tochter gestern Abend völlig aus der Fassung gebracht hat. Sie lädt ihn nicht zur Hochzeit ein und wünscht ihm nur das Schlechteste. Wahrlich keine schöne Sache. Oder, dass der erst seit zwei Jahren im wichtigen Bürogebäude tätige, belaptopte, belackschuhte und eigentlich noch pubertierende BWL-Student die seiner Ansicht nach ihm zustehende Beförderung zugesagt bekommen hat. Mit € 1,99 Piccolo haben sie anstoßen müssen gestern um 16 Uhr. Und sich scheinheilig wiederwillig die Hand reichen und nebeneinander am Foto stehen und seine eye-to-eye Blitze musste er möglichst gekonnt kaschieren. Oder vielleicht war vorgestern einfach die Untersuchung beim Urologen ein bisschen haarig. Alles nur Spekulationen und Verstehenshypothesen.

Ich rase ja so durch meine eigene Ideologie von Realität, dass ich nur schwer die vom Schnautzbart-Pete ergründen kann. Die Dinge sind meist nicht wie sie scheinen. Und wenn diese Brülltirade zumindest dazu gut war seine negative Energie zu entladen, dann bitte gerne. Jederzeit. Bevor du den belackschuhten BWL Jungspund eine G’nackwatschn verpasst, oder deiner Tochter auch eine Todeswunschnachricht auf der Mailbox hinterlässt, deine Frau wieder verprügelst oder die Katze vom Urologen massakrierst, weil er bei der Untersuchung doch den einen Finger zuviel verwendet hat. Ich weiß nicht was dich bewegt. Ich weiß nicht was dich so wütend macht. Muss ich auch gar nicht. Wir Menschen machen verrücktes Zeug. Ich jeden Tag. Jedenfalls bin ich froh, dass mein pawlow’scher Reflex reduziert ist. Ein echter Erfolg. Zumindest dafür war unsere Begenung gut. Also indirekt: Danke dafür! Ich nehme hier einfach meine Ohnmacht aus der Situation und sag ehrlich Danke. Denn indirekt ist dir ja hoffentlich nicht nur der Schutz deiner gold metallic Karre wichtig, der bei meinem ungraziösen Ritt über deine Motorhaube im Falle meines tatsächlich ausbleibenden Stehenbleibens nicht mehr gegeben gewesen wäre, oder deine abgelaufene Versicherung – sondern mein Leben.

Auch alles nur Vermutungen. Bitte sag in Zukunft einfach was du wirklich denkst. Ich kann nichts dafür, wenn du früh morgens an Einfahrten still stehende, dich beobachtende, achtsame und am Einfahren nicht behindernde Verkehrsteilnehmer auf zwei Rädern nicht wahrnimmst. Behalt dir deinen Frust und such dir konstruktive Wege zur Bewältigung (Coping). Das geht zum Beispiel HIER, HIER, HIER oder HIER. Mehrjährige Psychotherapieeinheiten wirken auch Wunder. Auch das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Nähere dich dir selbst. Spread love not hatred! Alles Liebe – Lady Cupcake!

PS: Liebe Grüße an dich, Schnautzbart-Pete!

Hattest du ähnliche Erlebnisse? Wie gehst du mit Schreiattacken, hitzigen Diskussionen um?

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