Photo by Theresa Pewal
Wann hört er endlich auf, der Optimierungswahn!? Die Selbständigen verkaufen sich stets unter ihrem Wert. Die Angestellten ringen um Zertifikate im Fortbildungsdschungel des state-of-the-art Personal- managements. Der frisch gebackene Akademiker zieht Nummern beim AMS und die gewöhnliche Hausfrau mit zwei Kindern versinkt ohnehin in ihrer Depression, weil sie mit 40 quasi weg ist vom Fenster. Was soll das? Ist denn das Leben wirklich dazu da, um voller Angst durch die Welt zu gehen? Um jeden Tag mit einer grundlegend Adrenalin geschwängerten Vibration in Körper und Geist durchs Leben zu gehen? Nope! There’s way more. #realitycheck
Status quo
Alter, ich bin eh schon so damit beschäftigt, mich selbst zu sabotieren. Mein Selbstkonzept sucht nach Bestätigung. Jeden Tag. Immer. Es will ständig sagen: „Ha, ich hab’s dir gleich gesagt. Das wird nix.“ Und dabei guckt es mich hochnäsig an mit Sexkretärinnen-Brille (Was ohnehin schon ein überaus offensichtlicher Anteil auf die eigentlich wichtigen, sinnlichen, zu Tage treten wollenden Anteile ist) und Schlaumeier-mäßig erhobenem Zeigefinger. Ob ich schlafe oder wache. Eh schon viel los im System. Nun soll ich mich optimieren auch noch bis zum völligen Wahnsinn? Bis zur heillosen Erschöpfung!
Stets sind Stundensätze zu hoch, Arbeitspakete nicht rasch genug abgeliefert, die eigene Person nicht ausreichend rapide weiterentwickelt. Dabei frage ich mich, wohin ich mich noch ent-wickeln soll? Immer weiter von mir selbst weg, wie mir scheint! Weiterentwickeln wird meiner Wahrnehmung nach zu oft verwechselt mit 101 Scheine vorweisen, die alle ganz schlaue Dinge aufzählen. Aber mal ehrlich: Lässt sich dein und mein wertvolles Leben echt in 8 Bulletpoints verpacken? Bist du ein wertvollerer Mensch mit MA2412-Marke zur Fähigkeitsbestätigung? Ist die Unterschrift dreier halbglücklicher Prüfer, die ihre Unterschriften auf dein Zertifikat fetzen, entscheidend für deinen wirtschaftlichen Erfolg; für dein Lebensglück?
Meine Konstruktion von Realität sagt derzeit folgendes…
Verzweifeltes Stillen des Mangelgefühles durch Aus- und Weiterbildungen verursacht A) Immens hohe Kosten B) Kopfschmerzen, weil sie ganz oft nicht meiner wahren Leidenschaft entsprachen. Und C) Hört diese Jagd nach mehr Know-How nie auf. Am Ende des Tages gibt es wieder einen Recruiter, der über deinem CV hängt und seine Standardabsage in den Mailserver klopft: „Es tut uns leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Qualifikationen nicht unserem Anforderungsprofil entsprechen.“ Es ist einfach nie genug inmitten dieses Optimierungswahns. Ständig klopft die nächste Fortbildung, bahnbrechende Lebensaufgabe/ -idee oder der ungeduldige Auftraggeber an die Tür mit neuen Ideen und einem: „Könntest du nicht noch rasch Sprengstoffexpertin auch noch werden?“.
Es ist nie genug. Sind du und ich nie genug?
Zumindest habe ich genug von dem ganzen Schwachsinn! Ich frage einmal mehr – wenn nicht, energischer denn je: Ist das so? Muss ich immer mehr wollen oder vorgeben mehr zu sein, um wirtschaftlich zu (über-)leben? Genügt es nicht, mich näher zu mir selbst zu entwickeln, anstatt meinen Stundensatz auf ein Minimun herabzusenken, sodass auch die Euphorie des gesamten 3. Jahres der Selbstständigkeit erneut in ein Verlustjahr mündet? Wo bleiben Freude, Leidenschaft und Geschäftserfolg am Ende einer langen Reihe an Selbstverbesserung? Wozu hadern, arbeiten, werkeln bis 2 Uhr morgens? Der Schlüssel heißt – und auch das sei lauter denn je gesagt: Weniger ist mehr! So viel ist mir heute klar.
So fancy
Trends wie vegan lifestyle, Minimalismus oder tiny house living sind selbst bis in die tiefsten Täler des südlichen Österreichs vorgedrungen. Was aber, wenn selbst diese Form der Optimierung zum reinen Dauerstress mutiert? Seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit der Frage, was ich wirklich zum Leben brauche. Gut, ich bin aus wirtschaftlichen Gründen auch dazu gezwungen, merke aber, dass ich die Opfer zentrierte Brille, gegen die Konsum ablehnende Brille getauscht habe. Es hat auch viele Vorteile kein oder wenig Geld zu haben. Dieser Perspektive gebe ich mich seit einiger Zeit hin. Zugleich erkannte ich, dass ich mit diesem Entwicklungsprozess – entsprechend dem Kriterienspektrum meines inneren Leistungsantreibers – ALLES sofort und radikal verändern wollte. Von heute auf morgen wollte ich alles entrümpeln und am Liebsten in der Hütte am Waldrand über einer offenen Feuerstelle meine Kräutersuppe köcheln. Warum gibt es auf meinem Erfolgs- und Lebensradar nach so vielen Jahren des heavy-learnings noch immer nur 0 vs. 100? Darf der Regler nicht irgendwo in der Mitte zum perpetuum mobile schwingen zwischen völligem Leistungswahn und radikalem Roland Düringer game-changer landen? Wo sind die anderen Zwischenstufen geblieben? Es fällt mir schwer, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Bzw. sollte ich zu aller erst mal die Entscheidungen richtig treffen, welches To Do ich als nächstes angehe, anstatt sie in knapp 33 offenen Tabs parallel vor mir her eiern zu lassen. Unbequem ist das. Und hausgemacht.
Photo by Christine Kostner Photographie
Warum der Wolf diesmal zum Frottee Bademantel, statt zum Schafspelz greift
Ich bin Unternehmerin mit der ohnmächtigen Denkweise meines früheren Angestelltenverhältnisses. Es erweist sich als enorm schwierig, dieses Konzept, das so wichtiger Teil meines Selbstkonzeptes ist, endlich mit voller Abrissbirnen Wucht in Grund und Boden zu stampfen, um endlich das neue, leidenschaftliche, mir gegenüber selbst ehrliche, offene und erfolgreiche Arbeits- und Lebenskonzept zu erstellen. Stein für Stein, Mauer für Mauer…und den Glitzerboden, die Einghornpiñata und die Konfettikanonen natürlich nicht zu vergessen. Lass uns nicht die Konfettikanonen vergessen! Es wird zumindest klar, auch wenn das Wie – der Bauplan – noch offen ist. Es wird! Ich behalte mir diesen naiven Individualismus und glaube ganz fest daran, eines Tages die Entscheidung zu treffen, die sagt: „Mach……. und sonst nichts.“ Bei …….steht dann meine schlaue berufliche Erfolgsformel. Alles andere kann weg. Alles andere ist nur alter Angestellten-Bauschutt. Alles andere ist nur Ego-Kryptonit, das mal dazu gedacht war, die Menschen um mich herum zu beeindrucken. Ich muss kein Wichtigscheißer mehr sein. Ich muss keine verdammte 24h-Selbstoptimierungsmarionette mehr sein. Ich lass den Leistungswolf mal lieber chillen im sanft weichen Frottee Bademantel und den Plüsch-Slippern. Ich leg mal lieber die Beine hoch und fühl mich mir selber lieber einen Tag lang nicht ausgeliefert. Heute kriegt der Hundling nix zum Fressen. De Optimierungswolf kriegt mich nicht zu fressen. Ich glaube diese Ansprüche, der Druck, die Zerrissenheit; das alles darf weg. Jetzt. Und ich darf sein wer ich eigentlich bin.
Was würdest du gerne loslassen? Wie definierst du dein Arbeitsleben? Was ist dir wichtig jeden Tag? Was hilft dir, deinen crazy-mind wieder einzufangen?