Foto: Theresa Pewal Photographie
Ja, ich bin jetzt 31 Jahre alt. Ich bin in einem Alter, in dem ich mich über den letzten und alles entscheidenden Sticker im Rabattmarkenpass, der mich auf die Zielgerade des augenscheinlichen Super-Sonder-Angebotes der Supermarkt-Konsumhölle führt, freue. Ein Alter in dem ich Schlabber-all-over-Pullover und Traumasalbe als fixen Bestandteil sehe, um meine Nackenverspannungen abends zu bearbeiten und im Sommer Venenspray auf die geschwollenen Beine sprühe. Ein Alter, in dem ich mir werterfüllte Filme in der selbstgenähten Patchworkdecke optisch injiziere und mich über die Kräuter vom eigenen Balkon im selfmade Guacamole Dip freue, während ich Kartoffelsticks darin ertränke und mir einverleibe. Ein Alter in dem ich mich über die Sommertemperaturen freue, weil die Wäsche schneller trocknet, nicht weil ich meine jugendliche hornyness im Freibad zur Schau tragen möchte. Ein Alter, in dem ein Glas Wein und gute Gespräche wichtiger sind, als all-night-long Parties mit 35 hippen wannabe-it-boys-and-girls. Und ich bin in einem Alter, in dem es wichtiger denn je ist, über die eigentliche eigene Bestimmung nachzudenken und nicht weiter unnötige Lebenszeit und -energie damit zu vergeuden, mich und andere kleiner zu denken als wir sind; oder mich aus lauter Selbstzweifel unter der staubig sicheren, aber sauerstoffarmen Patchworkdecke zu verkriechen und auf ein auf Schonwaschgang programmiertes, sanftes, unspektakuläres Leben zu hoffen. Warten bis die Lebenszeit verstreicht. Seriously?
Wenn ich manchmal beobachte wie ungeduldig, unachtsam, unsanft ich mit mir und den Menschen um mich herum bin, habe ich noch stärker das Bedürfnis, umso achtsamer zu sein. Natürlich mit dem Ergebnis, dass ich mich dennoch grün und blau ärgere, über die Dellen an meinem Körper (obwohl er täglich unsagbar großartige Dinge leistet), die verspätete Onlinebestellung, die immer gleichen Statements eines unbewussten Angehörigen männlichen Geschlechts oder über den vergessenen Sauerrahm als die finale Zutat für Ofenkartoffeln. Aber Hauptsache noch einen Sticker für den Rabattmarkenpass habe ich ergattert. First world problems oder doch tiefer liegende Seelen-Engpässe?
Einerseits ist da die Sehnsucht eben nach den all-night-long Parties mit 35 hippen wannabe-it-boys-and-girls (vgl. Indiana Jones und der Grahl der ewigen Jugend?), andererseits gibt es den starken Anteil endlich bei mir selbst anzukommen, mich zu verwurzeln, aber gleichzeitig beflügelt abzuheben, wenn es dieses verrückt, bittersüße Leben bietet. Verwurzeln in mir selbst, in einer stabilen Persönlichkeit, die sich dennoch prozesshaft und so gar nicht linear weiterentwickeln möchte.
Foto: Theresa Pewal Photographie
Wie also führt man dieses gute Leben ab 30? Wie handled man diese Ambivalenz während viele deiner Lieben und Bekannten wunderbare life-events wie Hochzeiten, Nestbauten und Kinder – nein großartige Lichter – in die Welt setzen zu verbuchen haben? Bleibe ich selbst stehen, weil ich irgendwie anders ticke? Und wo gehöre ich dazu, wenn ich diese Punkte nicht Checklistenartig bei Konversationen mit ungut Bekannten vorzuweisen habe? Ich denke, hineinspüren ist wichtiger denn je. Am Spielfeldrand oder unter der sauerstoffarmen Steppdecke ist es dann doch nicht ganz so prickelnd, wenngleich die Stimmung unter zweiterer atemberaubend wäre (im negativen Sinne). Also: Weg mit der Decke und dem Rabattmarkenpass! Mit Salbe im Nacken, einer Portion Selbstliebe und einem deftigen Mutausbruch: Ab aufs Spielfeld! Lasst uns mal lieber der schräg-schrullige Hauptdarsteller sein, als das stereotype wannabe-it-girl, der auf ewig coole, verantwortungsbefreite Fussbalstar, der um die Wette Säufer am Feuerwehrfest, die deprimierte Mittdreißigerin, die ihrem Partner, ihren Kindern, ihrer Angststörung von vor 7 Jahren die Schuld an ihrem Weltschmerz gibt. Lasst uns alle mal wieder nach Innen schauen und selber Verantwortung für uns übernehmen! Wir sind die Hauptdarsteller im Völkerballmatch – sorry, das darf man jetzt so ja gar nicht mehr sagen….dazu in einem der nächsten Artikel mehr – deines Lebens! Möchtest du selbst weiterhin eine kleine, schlecht ausgeleuchtete Nebenrolle einnehmen oder ist es Zeit zu leuchten; zu strahlen und damit auch den Menschen in deinem Leben (z. B. die „Abgeschossenen“ aus dem Völkerballmatch am Spielfeldrand) die Chance dazu geben, dasselbe zu tun?
Wie geht’s dir auf deiner Reise? Ich bin gespannt wo du gerade stehst.