Photo by Theresa Pewal
Kennst du den Zustand, wenn der Boden unter deinen Füßen wegrutscht, wie der IKEA-Hochflorteppich mit der schlechten Bodenhaftung? Momente, in denen der Atem stockt? Ich kenn die gut! Immer wenn ich der Meinung bin, zu wissen was Persönlichkeit ist; was Sicherheit, was Stabilität in beruflichen/ privaten Lebenspfeilern ist. Dann, genau dann fällt das Leben lachend vom Stuhl, während es mein Tischtuch mit samt den für lecker befundenen Speisen, Menschen, Situationen und für approved befundenen inneren Anteile mit zu Boden reißt. Da windet es sich dann und lacht sich krumm – Tränenüberströmt – über meine verrückte Vorstellung, das Leben als fertiges Konstrukt in Händen zu Halten. Das Leben mal Dingfest gemacht zu haben. Das Leben zu kontrollieren. Oder darüber, dass ich dachte das Leben ein Stück weit mehr verstanden zu haben; ein paar mm in Hoffnung getränkter Grashalme in Händen, um so die Welt vermessen und verortet zu haben.
Das ist so leider eine zum scheitern verurteilte Sache mit der Kontrolle. Das Leben ist ein überaus unsicherer Ort für Co2-produzierende, Ozonloch- und unbewusste Seelenanteile verdrängende Lebewesen wie mich. Ja, das Leben ist ein unsicherer Ort. Wirklich! Und Persönlichkeit kein fixer Zustand. Was ich heute für bewusst erkannt halte, ist morgen schon wieder Schnee von gestern. Schrieb das Mädchen im blitzblauen Pettycoat mit den rosa Kranichen drauf, während sie mit rund 96 km/h auf Schienen gen Norden saust und die Landschaft viel zu schnell an ihr vorüber saust. Wie ihr Leben. Es gibt zwei Tage an denen sie nichts ändern kann: Gestern und Morgen. Aber was ist mit Heute? Was ist, wenn die Gleichung meines Lebens nie das brave Sammeln neuer Leistungsnachweise war? Oder das Abarbeiten von Excellisten? Die Präsentation murds schlauer Tortendiagramme in wichtigen Businessmeetings? Im Leisten war ich immer schon gut. Immer ein bisschen übers Limit. Immer 1 km außerhalb des eigentlich Erträglichen. Immer mit hochwasserartigen, Stresshormon geschwängerten Schweißbächen, die sich von der Kopfhaut abwärts über den gesamten Körper ergossen und letztlich in meinen Schuhen landeten. Wie betonartige Klötze aus Stress-Teer, der mich danach auf der Stelle treten ließ.
Photo by the incredible Christine Kostner Photography
Woher kam die Idee: Leben um zu leisten?
Naheliegend, diese Vorstellung von mir 7 Tage die Woche mit einer derartigen Grundspannung durchs Leben zu gehen. Stetig ein unmögliches To Do nach dem nächsten im Sinn. Nie im Jetzt angekommen, sondern immer in Bewegung mit ebenfalls 96 km/h. Bisher führte mich dieses unkoordinierte Arbeiten, Leisten und mit Hochgeschwindigkeit durch die Welt prettern nur gegen die Wand. „Egal, dann weiter!“, hörte ich den inneren Ruf, den ich so (zu) lange Zeit nicht zu hinterfragen wagte. Es muss immer weiter gehen! Es gibt keine Zeit für Anhalten! Es gibt keine Zeit für Genießen! Du solltest eigentlich nicht hier sein, also verhalte dich A) unauffällig oder B) verdiene dir das Leben! Diese und andere Mantren entwickeln sich all zu schnell in einem Umfeld voller Spannungen, überforderter streitender Erwachsener, die kein klares Ja aussprechen konnten gegenüber meiner Existenz, selbst leistungsorientierter Landwirtschafter, einer Großmutter, die seit ihrem 30. Lebensjahr Mantelschürze, Holzclogs und grauen Dutt trug und jegliche lockeren Vorstellungen von Leben vor dem ersten Atemzug im Hochsilo erstickte. Egal, die Härte hatte zu siegen. Fühlen ist nicht angesagt. Hinterfragen auch nicht.
Unfassbar! Was für eine Gleichung?
Interessante Ideen hatte die vermutlich 30 Jahre jüngere Version von mir. In einem wenig entwicklungsfreudigen Umfeld voller Spannungen lassen sich seltsame Vorstellungen von Realität, Leben und Persönlichkeit basteln. Umso klarer wird der Unsinn dieser Lebensgleichung aus heutiger Sicht! Umso stärker die Sehnsucht diese endlich neu zu schreiben und – noch wichtiger – danach zu leben. Erst unlängst kam mir in einem Seins Zustand, gepaart aus exzessivem 10km Lauf (der Leistungsantreiber lässt grüßen, ganz ohne ihn kann und will ich ja auch nicht sein), darauf folgender Meditation (mit Flow bereitendem The X Theme Sound im Hintergrund) und ein paar cl Killepitsch eine neue Gleichung in den Sinn. Im Zentrum stand ein Begriff, den ich vorher nie auf eine meiner von schlauen Business Begriffen geprägte Mindmap zu schreiben gewagt hätte: Fühlen!
Glaub mir! Die letzten Jahre hatte ich viele dieser reflexiven Dialoge mit meinen vielen inneren Anteilen, die innerhalb meines Selbstkonzeptes Tango, Limbo, Walzer, Death Metal, intuitiven Bauchtanz und depressiv zorniges Dauerweinen in Abfahrtshocke betrieben. Alle zur gleichen Zeit. Sie alle blieben unbeachtet für so viele Jahre. Es gab nur die Angst und die Leistung. Ganz selbstverständlich und unhinterfragt. Beide zu füttern kostet Unmengen an Energie. Da bleibt kein Platz für was anderes. Es war und ist nach wie vor so, als schaufelte ich Kohle in den Hochofen einer Dampflok, die auf stillgelegten Schienen steht. Die Bremse stark angezogen; kein Anschein von loslassen oder weiterfahren. Blindlinks schaufeln, keine dummen Fragen stellen. Von Effizienz in wirtschaftlicher oder emotionaler Hinsicht keine Rede. Ha! Da ist es wieder, das klugscheißerische Business Gelabere. 🙂 Ich hoffe du verzeihst. Aber weißt du, der Sinn für das Formulieren neuer Lebensgleichungen besteht nicht darin, das Alte zu verteufeln. Es bleibt eh da. In mir. Sonst wäre mein Ego wohl zum Tode verurteilt. Und wer lässt schon gern Anteile von sich sterben. Freiwillig!?
Es ist an der Zeit für mich zu Fühlen. Ich hab‘ stark das Gefühl, dass das meine eigentliche Lebensaufgabe ist. Die Frage nach der finanziellen, emotionalen Stabilität und nach dem Erfolg ist noch nicht beantwortet. Dazu fehlen noch ein paar Variablen, die es zu entdecken gilt. Ich hab das unsichtbare Zauberlasso und den explorativ-freudigen Indiana Jones Hut in meinem imaginären monkey-circus schon bereitgelegt. Ich stürz mich voll hinein in meinen düsteren Sumpf (beste Grüße an Sigismund Schlomo Freud an dieser Stelle, während Angst und Übermut im Salto Richtung Tiefenpsychologie für AnfängerInnen springen). Denn nur so werd‘ ich mir selber wieder ein Stück näher kommen. Okay, meine Einhorn Schwimminsel nehme ich auch mit. Sie soll mich retten und tragen, für den Fall, dass die sumpfigen Anteile mich doch zu sehr schaudern oder erstarren lassen.
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Alles im Leben zielt auf das Vermeiden meiner Vergänglichkeit ab. Jede Leistung, jeder Konsumwahn, dem ich nachging, alle Gefühle der Negativität, des Hasses, der Eifersucht. Jedes Suchtverhalten, allen voran, das nach Leiden, zielten auf das Bedürfnis nach Lebendigkeit ab. Denn auch Leiden hat höchst lebendige, leidenschaftliche Aspekte in sich. Auch wenn es den Brustkorb fast zerreißt. Es ließ mich etwas spüren. Lieber das spüren, als nichts, oder? Nein, nicht länger. Es ist an der Zeit, die Sucht nach Leiden zu beenden. Die einzige Sucht, die Raum haben soll, ist die nach Freude, nach Selbstliebe (ich spreche nicht von Narzissmus), nach Leichtigkeit. Seit ich vor gut 7 Jahren begann, meine Sterblichkeit bewusst zu spüren, merke ich, dass es nichts gibt, wovor ich Angst haben muss. Mein materielles Dasein hat ein Ende. Sowieso. Ob ich mich jeden einzelnen Tag meines Lebens davor fürchte oder nicht. Es wird passieren. Und DAS ist das universell verbindende Element aller Menschen. Keiner kommt hier lebend raus! Ob Mensch, ob Tier, ob Pflanze. Alles wird einmal nicht mehr sein. Natürlich behalte ich jenen rationalen Teil der Angst, der mir sagt: „Ach du gute Güte, ein Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit fährt direkt auf dich zu. Rette dich!“ Denn Angst per se schützt mich und dich davor, dumme, lebensbedrohliche Entscheidungen zu treffen. Das muss weiterhin so bleiben! Du siehst also, auch die Angst darf weiterhin mit mir Cupcakes essen und sonntags im Affenzirkus-Café koffeinhaltige Heißgetränke trinken. Ich möchte sie nicht abspalten, töten, loswerden. Sie gehört zu mir. Ich verabschiede mich hingegen von dieser mentalen Angst, die täglich unglaubliche Horroszenarien kreiert. Nur diese eine Komponente von Angst, die nun gehen darf. 99,9 % dieser Ängste sind nämlich nie real eingetroffen. Warum sollte ich also einer einzigen Faser meines Körpers oder meinem schönen Herzen weiterhin diesen Dauerstress antun? Ich finde keine rationalen Argumente. Also ist sie ab sofort offiziell aus ihrer Verantwortung entlassen.
Photo by the incredible Christine Kostner Photography
Wer bin ich, ohne Leiden?
Eine Headline, die ich mit Sicherheit nicht zum letzten Mal verwende. Niemand wird sich in 70 Jahren daran erinnern, dass ich vor der Matura hysterische Anfälle hatte vor lauter Versagensangst, bis sie mich zum Abendessen verschlang, meine Gedärme nachts im Schwitzkasten hielt und zum Frühstück wieder auskotzte. Niemand wird sich erinnern, dass ich in vielen Business Meetings einfach die Goschn g’halten hab‘, obwohl die Ego zerfressenen Anzug-Geister um mich herum, fürchterlich unmenschliche Entscheidungen trafen. Niemand wird sich daran erinnern, dass ich 80 % meiner bisherigen Tage damit zubrachte, Angst zu haben, nicht zu sein. Dass ich gezittert habe, als mein bester Freund mir vor 2 erzählte, seine Eltern wären bei einem Flugzeugabsturz gestorben. Das gehört übrigens zu den 1% der berechtigten Angst: Wenn eines Tages liebe Menschen schlimme Todesnachrichten überbringen. Das alles passiert sowieso. Alles was bleibt, ist tiefe Dankbarkeit darüber, diese Menschen in unserem Leben gehabt zu haben und tiefer Respekt vor diesem Leben, dass so so so viel größer ist, als ich es mit meinem kleinen Köpfchen jemals begreifen können werde.
Eine weitere Sucht, ist die große Verliebtheit, die viele Menschen u.a. in häufigen Partnerwechseln und/ oder sexuellen Abenteuern suchen. Erste Verliebtheit= Hoch psychotisch und eigentlich ICD10-Kategorisierungspflichtig! 🙂 Auch so eine Sache, die uns etwas spüren lässt. Niemand wird sich in 70 Jahren überhaupt an meinen Namen erinnern. Also ist es wohl an der Zeit, mich in meiner ängstlichsten Version nicht mehr so ernst zu nehmen. Es gibt so viele Menschen auf dieser Welt, die auch grade Angst haben. Die grade mit schlottrigen Knien ihren ersten Arbeitstag haben, sich einer Klavier-Oberstufenprüfung stellen, die grad einen Autounfall hatten und sich fürchterlich fürchten vor dem schreienden Unfallpartner, die grade mit einem rasenden Herzen auf ein negatives HIV-Testergebnis hoffen, die um erfolgreiche Reanimation ihres Leukämie kranken Kindes hoffen.
Angst hat so viele Facetten. Das Leben hat viele Facetten. Frag dich, wie viel Futter du deiner Angst weiterhin geben kannst und möchtest. Gibt es Bereiche, Situationen, Seelenanteile, Menschen in deinem Leben wo du unentwegt Kohle in versiegte Feuerstellen schaufelst?
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